Ein bemerkenswerter Artikel aus der London Times von Dezember 2008 - und die deutsche Überstezung von Frank Schönbach.
As an atheist, I truly believe Africa needs God
http://www.timesonline.co.uk/tol/comment/columnists/matthew_parris/article5400568.ece
Als Atheist glaube ich wirklich, dass Afrika Gott braucht
Missionare, nicht Hilfsgelder, sind die Lösung für Afrikas größtes Problem – die erdrückende Passivität im Denksystem der Menschen
Matthew Parris - The Times, 27. Dezember 2008.
(Übersetzung: Frank Schönbach, März 2009)
Vor Weihnachten kam ich nach 45 Jahren zurück in das Land, das ich als Junge unter dem Namen Nyassaland gekannt hatte. Heute heißt es Malawi, und The Times Christmas Appeal betreut dort auch ein kleines britisches Wohltätigkeitsprojekt. Pump Aid hilft ländlichen Gemeinden, eine einfache Pumpe zu installieren, die es den Leuten erlaubt, ihre Quellen im Dorf geschlossen und sauber zu halten. Ich fuhr dort hin, um dieses Projekt anzusehen.
Es hat mich begeistert und meinen nachlassenden Glauben an wohltätige Entwick-lungshilfe-Projekte erneuert. Aber die Reise durch Malawi hat einen anderen Glauben ebenfalls aufgefrischt: einen Glauben, den ich mein ganzes Leben lang zu verbannen versuchte, aber eine Beobachtung, die ich einfach nicht schaffe, zu vermeiden, seit meiner Kindheit in Afrika. Sie verwirrt meine ideologischen Überzeugungen zutiefst, weigert sich hartnäckig, sich in meine Weltsicht einzufügen und hat meine wachsen-de Überzeugung, dass es keinen Gott gibt, in peinliche Verlegenheit gebracht.
Obwohl ich mich jetzt ausdrücklich als Atheist bezeichne, bin ich doch zur Überzeu-gung gelangt, was für einen enormen Beitrag die christliche Evangelisation in Afrika leistet: scharf zu unterscheiden von der Arbeit der säkularen NGOs [non government organizations = nicht staatliche Hilfsorganisationen], staatlichen Projekte und inter-nationalen Hilfeleistungen. Diese alleine werden nichts nützen. In Afrika verändert das Christentum die Herzen der Menschen. Es bringt eine geistige Umwandlung. Die Wiedergeburt ist real. Die Veränderung ist gut.
Ich habe bisher gewöhnlich diese Wahrheit zu umgehen versucht, indem ich – wo es möglich war – der praktischen Arbeit der Missionskirchen in Afrika meinen Beifall ausdrückte. Es ist ein Jammer, so sagte ich, dass das Seelenheil ein Teil dieses Pa-kets ist, aber schwarze und weiße Christen, die in Afrika arbeiten, helfen den Kran-ken, lehren die Leute lesen und schreiben; und nur ein Säkularist der härtesten Sorte kann sich ein Missionshospital oder eine Schule ansehen und dann sagen, die Welt wäre besser ohne sie. Ich würde insoweit zugestehen, wenn denn nun der Glaube notwendig ist, um die Missionare zum Helfen zu motivieren, na ja, dann gut: Aber was zählt, ist die Hilfe, nicht der Glaube.
Aber das entspricht nicht den Fakten. Glaube bewirkt mehr, als nur den Missionar zu motivieren; er wird auch auf seine Schäfchen übertragen. Das ist der Effekt, der so immens viel ausmacht, und an dessen Beobachtung ich einfach nicht vorbei komme.
Also, zuerst einmal die Beobachtung. Wir hatten Freunde, die Missionare waren, und als Kind war ich oft bei ihnen; ich hielt mich, zusammen mit meinem Bruder, auch oft in einem traditionellen afrikanischen Dorf auf dem Land auf. In der Stadt hatten wir Afrikaner, die für uns arbeiteten, und die sich bekehrt hatten und überzeugte Gläubi-ge waren. Die Christen waren immer anders. Keineswegs wirkten diese Bekehrten irgendwie eingeschüchtert oder eingeengt, sondern ihr Glaube schien sie vielmehr befreit und entspannt zu haben. Da war eine Lebhaftigkeit, eine Neugier, ein Enga-gement für die Welt – eine Geradlinigkeit in ihrem Umgang mit anderen –, die im traditionellen afrikanischen Leben zu fehlen schienen. Sie standen aufrecht da.
Mit 24 Jahren verstärkte eine Landreise quer durch den Kontinent diesen Eindruck noch mehr. Von Algerien nach Niger, Nigeria, Kamerun und in die Zentralafrikanische Republik; dann mitten durch den Kongo nach Ruanda, Tansania und Kenia, so fuhren vier befreundete Studenten und ich in unserem alten Land Rover bis nach Nairobi.
Wir schliefen unter freiem Himmel, und deshalb war es wichtig, als wir stärker bevöl-kerte und gesetzlose Teile der Sub-Sahara erreichten, dass wir jeden Tag beim Ein-bruch der Nacht einen sicheren Platz fanden. Oft in der Nähe einer Missionsstation.
Immer wenn wir in ein Gebiet kamen, das von Missionaren bearbeitet worden war, mussten wir zugeben, dass sich in den Gesichtern der Leute, an denen wir vorbei kamen und mit denen wir sprachen, etwas verändert hatte: irgend etwas in ihren Augen, die Art, wie sie direkt auf einen zu kamen, Mann zu Mann, ohne nach unten oder zur Seite weg zu gucken. Sie waren gegenüber Fremden nicht ehrerbietiger ge-worden – in gewisser Weise sogar weniger –, aber viel offener.
Dieses Mal in Malawi war es genau das gleiche. Ich traf keine Missionare. Man be-gegnet Missionaren nicht in den Lobbies der teuren Hotels, wo sie Dokumente über Entwicklungsstrategien diskutieren, wie man es bei den großen NGOs erlebt. Aber stattdessen bemerkte ich, dass eine Handvoll der beeindruckendsten Mitglieder des Pump Aid-Teams (die meisten aus Zimbabwe) privat überzeugte Christen waren. „Privat“ deswegen, weil diese Wohltätigkeits-Organisation vollständig säkular ist, und ich nie bei irgendeinem aus diesem Team hörte, dass er so etwas wie Religion er-wähnte, während sie in den Dörfern arbeiteten. Aber ich fing sehr wohl die christli-chen Anspielungen in unseren Gesprächen auf. Einen sah ich, wie er im Auto ein An-dachtsbuch studierte. Ein anderer ging am Sonntag beim Morgengrauen in die Kir-che, zu einem zweistündigen Gottesdienst.
Es würde mir sehr gut passen, wenn ich glauben könnte, dass ihre Ehrlichkeit, Ge-wissenhaftigkeit und Optimismus bei ihrer Arbeit nichts mit ihrem persönlichen Glau-ben zu tun hätten. Ihre Arbeit war säkular, aber ganz sicher von dem beeinflusst, was sie waren. Und was sie waren, war wiederum beeinflusst von einem Konzept über den Platz des Menschen im Universum, den das Christentum sie gelehrt hatte.
Über lange Zeit war es eine Mode bei den akademischen Soziologen im Westen, die Wertesysteme der Stämme wie mit einem Zaun zu umgeben, jenseits jeder Kritik, die sich auf unsere eigene Kultur gründet: das sind „ihre“ Werte, und deshalb das Beste für „sie“; authentisch, und grundsätzlich von gleichem Wert wie unsere.
Ich kann dem nicht zustimmen. Ich beobachte, dass der Glaube der Stämme nicht friedvoller ist als unserer; und dass er die Individualität unterdrückt. Die Leute den-ken kollektiv; zuerst in Begriffen der Gemeinschaft, der Großfamilie und des Stam-mes. Diese ländlich-traditionelle Denkweise ist der Nährboden für die Politik des „großen Mannes“ und der Gangster in den afrikanischen Städten: der übertriebene Respekt für einen aufgeblasenen Führer, und die (buchstäbliche) Unfähigkeit, die Idee einer loyalen Opposition überhaupt zu verstehen.
Ängstlichkeit – Furcht vor bösen Geistern, vor den Ahnen, der Natur und dem Wil-den, der Hierarchie im Stamm, oder ganz alltäglichen Dingen – prägt tief die gesam-te Struktur des ländlichen afrikanischen Denkens. Jeder Mann hat seinen Platz, und, ob man es Furcht oder Respekt nennen mag, eine große Last unterdrückt den indivi-duellen Geist und hemmt die Neugier. Die Leute werden keine Initiative ergreifen, werden die Dinge nicht in ihre eigenen Hände oder auf ihre eigenen Schultern neh-men.
Wie kann ich, als jemand, der mit einem Fuß in beiden Lagern steht, das erklären? Wenn ein philosophischer Tourist sich von einer Weltanschauung in eine andere be-wegt, bemerkt er – in dem Augenblick, wenn er in die neue eintritt –, dass er die Sprache verliert, um diese Landschaft seiner alten Welt zu beschreiben. Aber lassen Sie es mich mit einem Beispiel versuchen: Die Antwort, die Sir Edmund Hillary gab auf die Frage: Warum steigen sie auf den Berg? „Weil er da ist,“ sagte er.
Im ländlichen afrikanischen Denken wäre das eine Erklärung dafür, warum jemand den Berg nicht besteigen will. Er ist... na ja, eben da. Einfach da. Warum sollte man etwas unternehmen? Es gibt nichts, was man deswegen oder damit tun müsste. Hil-lary’s weitere Erklärung, – dass niemand ihn bisher bestiegen hat –, würde als ein weiterer Grund für die Passivität herhalten.
Das Christentum, nach der Reformation und nach Luther, mit seiner Lehre von einer direkten, persönlichen und zweiseitigen Verbindung zwischen dem Individuum und Gott, nicht durch das Kollektiv vermittelt, und nicht irgend einem anderen menschli-chen Wesen untergeordnet, zerschmettert das philosophisch-spirituelle Bezugssy-stem, das ich eben beschrieben habe, vollständig. Es bietet denen, die ängstlich sind, das erdrückende Gruppendenken des Stammes aufzugeben, etwas an, an dem sie sich festhalten können. Deshalb und auf diese Weise wirkt es befreiend.
Diejenigen, die möchten, dass Afrika im globalen Wettbewerb des 21. Jahrhunderts mithalten kann, sollten sich nicht selbst zu Narren machen und annehmen, dass die Bereitstellung von Material oder sogar von Knowhow, das mit dem einher geht, was wir Entwicklung nennen, eine Veränderung auslösen werden. Ein ganzes Glaubenssy-stem muss zuerst ersetzt werden.
Und ich fürchte, es muss von einem anderen ersetzt werden. Wenn man aus der afrikanischen Gleichung die christliche Evangelisation heraus nimmt, wird man wohl den Kontinent einer bösartigen Verbindung von Nike, dem Zauberdoktor, dem Mobil-telefon und der Machete ausliefern.