Samstag, 31. August 2013

Armenische Königreiche


Çamlıyayla, bei Tarsus


Die Burgruine Lambron (türkisch Namrun), an deren Fuß unser Hotel liegt, war für zwei Jahrhunderte eins der Zentren des christlichen Königreiches Armenien. Wir erstiegen sie heute Vormittag in der anfangs milden, dann aber immer heißer werdenden Sonne des Taurusgebirges. Wir fanden auf dem höchsten Punkt des schroff nach drei Seine hin abfallenden Burgberges zwei große steinerne Säle mit noch intakten Tonnengewölben und stellten uns vor, dass hier im Jahre 1190, etwa gegen Ende Juni,  Kaiser Friedrich Barbarossa als Gast erwartet wurde. Er befand sich auf seinem dritten Kreuzzug und hätte hier mit dem Prinzen und späteren König Lewon I. auf die Freundschaft und militärische Kooperation der beiden christlichen Könige anstoßen und einige anliegende Dinge besprechen können. Friedrich ertrank jedoch am 10. Juni 1190 im etwa 150 km entfernten Taursfluss Saleph (heute Göksu).

Donnerstag, 29. August 2013

Ein alter kappadokischer Heiliger mit modernen Problemen


Uçhisar, Kappadokıen

Über die Mondlandschaft der Tuffsteinfelsen hier im kappadokischen Hochland ist vor vielen hundert Jahren auch der heilige Gregor gewandelt. Er wurde um 330 in der Nähe der heutigen Stadt Aksaray geboren und hat im nahen Kayseri, das damals Caesarea hieß, studiert. Später wurde er ein einflussreicher aber nicht glücklicher Bischof in Konstantinopel.
Welche Probleme haben seinem Glück im Weg gestanden? Meine eigenen Probleme, seine Reden zu lesen und zu verstehen, hatte ich bereits früher geschildert. Jetzt habe ich in einem Kommentar gelesen, dass sie in gewisser Weise gleichlaufend sind. Es sind nicht die Probleme meines Verstehens, sondern eigentlich die Probleme des ganzen Lebens von Gregor von Nazianz.
Die eigenartige Diskrepanz zwischen seiner tiefen Frömmigkeit und seiner weltläufigen, mir übertrieben erscheinenden Rhetorik hat ihn selbst am allermeisten gequält. Er hatte bei seinem Studium in Athen die Hochkultur der Griechen und Römer kennen gelernt. Er war dort mit der ganzen Raffinesse der künstlerischen Ausdrucksformen einer lebendigen Hochkultur bekannt gemacht worden. Das zentrale Studienfach Rhetorik, in dem er eine hochklassige Ausbildung bekam, diente damals offenbar der Gesamtheit der Kommunikation. Es ging um alles, was man über Wissenschaft, Kunst und Lebensphilosophie an Wissen vermitteln konnte.
Rhetorik war sehr viel mehr als nur die Redegewandtheit bei öffentlichen Auftritten. Rhetorik war die ganze Kunst, andere Menschen zu beeinflussen, und zwar so, dass sie in der Lage waren, in den Idealen der damaligen Philosophie zu leben und sich anleiten lassen, jederzeit das Gute und Richtige zu tun.
Von diesen Idealen hatte sich Gregor innerlich abgekehrt. Er hatte aus den langen kirchlichen Diskussionen der damaligen Zeit, welcher Natur Jesus gewesen war (Gott ähnlich oder Gott gleich) für sich persönlich eine generelle Erkenntnis über die Ähnlichkeit eines jeden Menschen mit Gott gewonnen. Ihm war klar geworden, dass der Mensch sich nur über die Annäherung an den ihm verwandten Gott dazu bringen könne, jederzeit das Gute und Richtige zu tun. Gregor hatte damit einen neuen Zugang zu einer neuen „Pädagogik“ bekommen. In der Tat sprachen die Griechen von „paida“  als Weg der Erkenntnis und Erziehung. 
Für Gregor konnte diese Pädagogik nur aus der Erkenntnis der Ähnlichkeit mit Gott kommen. Der Mensch musste Gott imitieren und musste sich ihm dazu annähern. Diese Annäherung wollte Gregor dadurch erreichen, dass er in die Einsamkeit der Flüsse und Wälder in der Nähe der Schwarzmeerküste zog und Gott in der Stille und in der Askese suchte. Gleichzeitig war ihm bewusst, dass seine ganze vornehme Ausbildung verbunden mit seinem großen Talent, auf sozusagen klassische Weise, nämlich "rhetorisch" Einfluss auf andere Menschen auszuüben, ihn zu einem Mann im Dienst der Kirche machte.
Ich glaube, dass dieses Problem, das Schwanken zwischen dem Talent, andere Menschen zu führen und dem tieferen Willen, die Einsamkeit zu suchen und Gott zu finden, auch heute in vielen Menschen vorhanden ist, vielleicht in mehr Menschen als man das vielleicht annehmen möchte.
Mir erzählte neulich ein Freund, dass auf einem Seminar über spirituelle Erfahrungen, bei dem etwa die Hälfte der Teilnehmer Mediziner und Pastoren, die andere Hälfte dagegen Geschäftsleute waren, gerade die Leute aus der Wirtschaft die meisten neue Impulse zur Wiederentdeckung alter Mystiker mitbrachten.
Vielleicht wird es in Zukunft mehr und mehr solche Menschen geben, die beide Neigungen - ich sage es abgekürzt: zum Management und zur Mystik - in sich selbst entdecken und beide auch verwirklichen wollen. Man kann nur hoffen, dass sie mit der Versöhnung der beiden Bereiche mehr Glück haben als Gregor. Sein lebenslanges Ringen ist nach allem was man weiß nicht zu einem befriedigenden Ende gekommen. Aber man hat ihn für seine offene Redeweise offenbar geliebt und seinen Gedanken einen wichtigen Platz in der Kirche gegeben.

Mittwoch, 28. August 2013

Türkische Gespräche (I)


 


Uçhisar, Kappadokien




Blick aus unserem Fenster in der Morgenröte:
der Vulkan Erciyes, 3.916 m hoch, etwa 70 km entfernt.

Uğur* ist 18jährig mit einem kleinen Koffer mutterseelenallein nach Essen gezogen und hat dort 22 Jahre als Schreiner gearbeitet. Er hat einen deutschen Meisterbrief und ist seit zwei Jahren wieder am Heimatort zurück, hier als selbständiger Schreiner mit 10 Mitarbeitern. Ich frage ihn, was ich alle Türken frage, mit denen ich länger rede: ob die Türkei nach den Unruhen der letzten Monate wieder zu einem inneren Frieden finden wird.

Dienstag, 27. August 2013

Das Auge des Hammels


Uçhisar, Kappadozien

Ich habe mich mein Leben lang mit Freude an einen Tisch gesetzt, wenn ich wusste, dass das Essen aus einer türkischen Küche kam. Vielleicht hat mir ein alter Reiseführer aus den 60er Jahren geholfen, den richtigen Zugang zu dieser Küche zu finden, von der manche Menschen sagen, sie sei neben der französischen und der chinesischen die beste der Welt. In besagtem Reiseführer, den ich zur Vorbereitung meines Auslandspraktikums 1971 in Istanbul las, war auf altmodische Weise auf die vielfältigen Fremdheiten dieser orientalischen Küche hingewiesen worden. Es gab eine Reihe von Schilderungen, die schließlich in der Vorstellung gipfelten, dass man als Ehrengast eines opulenten türkischen Gastmahls eine pyramidenförmig geschichtete Platte mit Hammelfleisch vorgesetzt bekäme, auf deren Spitze als besondere Gabe für den Gast - ein Hammelauge liegen und den Gast mit der Aufforderung anblicken würde, es zu zerteilen und zu verspeisen

Montag, 26. August 2013

Archaische Tage (II)



Cemele, bei Kırşehir

Von den Männern auf der Hochzeit tragen eine ganze Reihe eine Pistole mit sich herum, von der sie bei bestimmten Gelegenheiten, etwa der Ankunft der Braut, auch ausgiebig Gebrauch machen und lange, knatternde Salven in die Luft schießen, mit scharfer Munition, nicht mit Platzpatronen. Einige Gewehre sind vorhanden, Schrotflinten und andere, mit denen schießt man schräg nach oben, man muß sie ja fest an der Schulter anlegen, und feuert in Richtung des unbewohnten Geländes hinter dem Haus.

Nichts stärkt die Sicherheit im Auftreten eines Mannes mehr als die Schusswaffe am Gürtel, das läßt sich hier gut beobachten. Ich sehe, wie der Brautvater seinem Sohn kurz vor der Abfahrt zum Haus der Braut eine Pistole zusteckt, die dieser mit einem kurzen Griff im Rücken unter dem Gürtel verschwinden läßt und seinen marineblauen Anzug darüber wieder schließt. Er wird Freudenschüsse damit abschießen, nicht mehr, aber es ist für mich auch eine Steigerung des Nietzsche-Wortes in dieser Bewaffnug, wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht. Wollen die Frauen uns nicht letztlich alle als Eroberer?

Ich mache mich unbeliebt und breche ab. Übrigens finden auch die türkischen Frauen das ohrenbetäubende Geknatter offensichtlich als störend und schimpfen laut auf die schießenden Männer ein. Dass sie relativ sorglos in Gegenwart vieler Kinder mit den scharfen Waffen herum hantieren, empfinden sie als sträflich. Lange wird diese Männerwelt ihr Spiel nicht mehr treiben dürfen, auch in Anatolien nicht.

Wenn ich mich mit einem der vielen Gäste bekannt mache, sage ich in der Regel "ich bin Christian, ich bin Deutscher". Das verstehen manche falsch, denn "ben christian'im" heißt auch "ich bin Christ". Hüseyin, der Vater der Braut, versteht mich in diesem Sinn und sagt, etwas abwehrend, ach, wir sind alle dieselben Menschen. Ich muss schnell korrigieren: benim adım Christian (ve ben hıristian'ım), mein Name ist Christıan (und ich bin ein Chrıst). Dass meine Frau außerdem Christiane heißt, wird als folkloristisches Element mit freundlichem Interesse aufgenommen.

Sonntag, 25. August 2013

Archaische Tage (I)


Cemele, bei Kırşehir

Der vorläufige Höhepunkt der Hochzeitsfeiern war für mich am Samstag der Wettbewerb der jungen Männer des Dorfes, die sich darin maßen, einen etwa 20 bis 30 kg schweren Rinderkopf auf ein vier Meter hohes Hausdach zu werfen. Der Kopf war zuvor vom Rumpf des jungen Bullen getrennt worden, der zum Anlass der Hochzeit sein Leben lassen musste und von dessen Fleisch wir uns schon am Freitag ernähren konnten.

Samstag, 24. August 2013

Betriebswirtschaftliche Grundzüge einer Hochzeit auf dem Lande


Cemele bei Kırşehir, Kappadokien

Rıza, der Patriarch und Großvater des Bräutigams, hat gestern die nach und nach eintreffenden männlichen Verwandten (dazu zählen alle Vettern bis hin zum dritten und vierten Grad und die damit verschwägerten oder verschwippschwägerten) noch einmal mit eindringlichen Worten daran erinnert, dass die Hochzeitsfeier nur gelingen kann, wenn jeder der erwarteten fast Tausend Gäste sich willkommen und beachtet fühlt. Das bedeutet für die Männer, besonders die jüngeren, dass sie im ständigen Hin und Her mit der Küche heute darum besorgt sein werden, dass alle genug zu essen haben und dass vor allen Dingen der beständige Strom von Tee nicht versiegt.

Freitag, 23. August 2013

Kreatives Schreiben

Ankara

Die Sonne ging heute auf, als wir über Ungarn flogen, das Frühstück kam, als wir die bulgarische Schwarzmeerküste unter uns sahen. Unter der klaren, fischreichen oberen Wasserschicht des Schwarzen Meeres (das auch die Türken "schwarz" nennen, Kara Deniz - in schönem Gegensatz zum Mittelmeer, das bei ihnen Ak Deniz, weißes Meer heißt) lagert in der Tiefe eine tote Lauge, die sich aus den verfaulenden organischen Bestandteilen bildet, welche die hier mündenden großen Flüsse wie Donau, Dnjepr und Don mit sich führen und die das Ökosystem des Schwarzen Meeres nicht verarbeiten kann.

Montag, 19. August 2013

Kappadokische Weisheiten


Wir werden uns am kommenden Wochenende auf den Weg nach Kappadokien machen. Ich finde bei der Reisevorbereitung ein schönes Wort von dort:

Ich kann mich nicht daran freuen, mir ergebene Sklaven zu besitzen, Angehörige meiner eigenen Rasse, die vor Zeiten durch eine Tyrannei von mir getrennt wurden. Sie hat Menschen, die aus einem und demselben Land abstammten, den doppelten Namen ‚freier Mann‘ oder ‚Sklave‘ gegeben. Nein, nicht aus einem und demselben Land, von einem und demselben Gott. So kam die sündhafte Unterscheidung in die Welt.
Das hat Gregor von Nazianz geschrieben, aus der Gegend des heutigen Nevşehir. Er hat von 329 bis 390 gelebt.