Çamlıyayla,
bei Tarsus
Die
Burgruine Lambron (türkisch Namrun), an deren Fuß unser Hotel liegt, war für
zwei Jahrhunderte eins der Zentren des christlichen Königreiches Armenien. Wir
erstiegen sie heute Vormittag in der anfangs milden, dann aber immer heißer
werdenden Sonne des Taurusgebirges. Wir fanden auf dem höchsten Punkt des
schroff nach drei Seine hin abfallenden Burgberges zwei große steinerne Säle
mit noch intakten Tonnengewölben und stellten uns vor, dass hier im Jahre 1190,
etwa gegen Ende Juni, Kaiser Friedrich Barbarossa als Gast erwartet
wurde. Er befand sich auf seinem dritten Kreuzzug und hätte hier mit dem
Prinzen und späteren König Lewon I. auf die Freundschaft und militärische
Kooperation der beiden christlichen Könige anstoßen und einige anliegende Dinge
besprechen können. Friedrich ertrank jedoch am 10. Juni 1190 im etwa 150 km
entfernten Taursfluss Saleph (heute Göksu).
Dieses Land hat viele Völker kommen und gehen sehen, hat die Geburt und oft den gewaltsamen Tod vieler Kulturen erlebt. Es ist Zeit, ihm Frieden zu wünschen.
Die Armenier
hatten nach 1045 ihr altes nördliches Königreich um den Ararat herum aufgeben
müssen, auf der Flucht vor den aus Asien eindringenden Seldschucken, und hatten
hier, am Mittelmeer und im Taurusgebirge, das sogenannte „Kilikische Königreich
Armenien“ gegründet. Es hatte bis etwa 1375 Bestand und wurde dann teils durch innere
Spaltungen, teils in den Konflikten der hier in immer neuen Wellen
einwandernden fremden Völker aufgerieben.
Klingend
sind die Namen der Herrscher, die hier gelebt haben – Lewon oder Leon erwähnte
ich schon, Hetum, Thoros und Mleh sind weitere armenische Königsnamen.
Bagratian war einer ihrer Vorfahren, das klingt mit seinem – ian am Ende sehr
schön Armenisch, wie Gulbenkian, Petrosjan oder Karajan. Die Vornehmen des
Landes sind um 1375, nach der Eroberung durch die Mameluken, nach Zypern und
weiter nach Europa geflohen, die einfachen Leute sind geblieben, haben sich mit
den neu eindringenden Völkern arrangiert und bildeten später unter den am
Ende siegreichen Osmanen die Kaste der reichen Leute in den kilikischen
Küstenstädten Tarsus und Adana.
Lambron um 1900 |
Nach 1900,
in den Unruhen am Ende der Sultansherrschaft haben sie die Partei der
Jungtürken unterstützt, wohl in der Hoffnung, in einem modernen
westlichen Staat volle Bürgerrechte und eine Befreiung von der islamischen
Sondersteuer für Nichtmuslime, der „Dhimmi“, zu bekommen. Sultan Abdul Hamid II
unterlag den Jungtürken zunächst, gewann jedoch danach für kurzer Zeit
wieder die Oberhand und machte jede Art von Widersätzlichkeit in mehreren
blutigen Massakern nieder, die im Jahre 1909 besonders in Adana tausenden
Armeniern das Leben kosteten.
Zwar
gelangten die westlich gesinnten Jungtürken wenig später endgültig an die
Macht, doch die armenische Hoffnung auf gesicherte Bürgerrechte für die
christliche Minderheit erwies sich als trügerisch. Die Jungtürken hatten in
Europa ein streng nationales Staatsmodell gelernt, in dem für ethnische
Minderheiten wenig Platz war. Mit den in der Türkei lebenden Griechen gelang
ein teilweise gewaltloses „ethnic cleansing“ durch Bevölkerungsaustausch, bei
den Armeniern geriet es aber auf fatale Weise außer Kontrolle. Die Umsiedlungen
der Armenier, anfangs noch vom Roten Kreuz hilfreich begleitet, arteten 1915 in
wilde Vertreibungen aus, bei denen auf den Todesmärschen in die syrische Wüste
nach mittlerweile international anerkannten Schätzungen mehr als eine Million
Armenier ums Leben kamen.
Meine
türkischen Freunde reden verhalten über diese Vorgänge. Man möchte, so die
offizielle türkische Linie, die Ergebnisse historischer Untersuchungen
abwarten, um zu klären, inwieweit die Armenier zuvor eigene Gewalttätigkeiten
angefacht hatten und entsprechend eine Teilschuld trugen. Ich fürchte, es wird
wenig dabei herauskommen, und wenn am 24. April 2015 der „Rote Sonntag“, der
Beginn der Armenier-Deportationen in Istanbul, sich zum hundertsten Male jährt,
wird die Türkei zähneknirschend das Urteil der Völkergemeinschaft hören, das
ziemlich einstimmig auf „schuldig“ lauten wird.
Gerne würde
ich mehr über die Theorie von den verschwundenen aber nicht ermordeten
Armeniern hören, die mir der alte Bauer erzählte. Ist sie im Unterbewusstsein
vieler Türken vorhanden und entschuldet sie das nationale Gewissen – in
gleichem Maße allerdings wie sie durch die Angst vor ewig wiederkehrenden
Rachegeistern eine Belastung bildet? Die Stadt Tunceli, im Jahre 1937 Ort eines
Kurdenaufstandes gegen die Türkei und eines ebenso blutigen türkischen
Gegenschlags wie der von Adana 1909, soll nach den Armeniervertreibungen 1915
tatsächlich tausende Armenier aufgenommen haben. Was ist aus ihnen geworden?
Dieses Land hat viele Völker kommen und gehen sehen, hat die Geburt und oft den gewaltsamen Tod vieler Kulturen erlebt. Es ist Zeit, ihm Frieden zu wünschen.
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