Tarsus ist
eine der wenigen Städte in Kleinasien, die ihren Namen über die Jahrhunderte
und Jahrtausende nicht geändert hat. Möglicherweise geht der Name auf die
Hetiter zurück. Die Menschen müssen zu allen Zeiten von der besonderen Lage der
Stadt profitiert haben - das hügelige Vorgebirge nördlich der Stadt wird ebenso
wie das Flussdelta südlich davon von den klaren Wassern, die aus dem Taurus
abfließen, reichlich versorgt und von der warmen Mittelmeersonne verwöhnt.
Die parallel zur Küste verlaufende Autobahn von Adana über Taurus nach Mersin führt durch Olivenhaine, Weinberge und Obstplantagen, das Land ist grün. Leere Parzellen werden mit jungen Pflanzen aufgeforstet, der Vergleich mit den grünen, intensiv bepflanzten Bereichen an der A 61 in Rheinhessen ist erlaubt.
Südlich der Autobahn erblickt man hinter einer schier endlosen Kette von meist 10- bis 15geschossigen Häuserblocks das blaue Mittelmeer. Die Städte Adana, Taurus und Mersin sind in den letzten Jahren zu einer einzigen Megastadt zusammen gewachsen. Östlich von Mersin geht das Meer zurück und das Delta der "Çukurova" als Schwemmland der drei Flüsse Seyhan, Ceyhan und Tarsus beginnt. Es hat sich über die Jahrhunderte ständig vergrößert und ist heute das bedeutendste Baumwoll-Anbaugebiet der Türkei.
Ein Brunnen soll die Stelle des Hauses bezeichnen, in dem Paulus geboren wurde |
Ich erzähle das, um den berühmtesten Sohn der Stadt, den Apostel Paulus, vor diese ungewöhnlich wohlhabende Kulisse zu stellen. Es spricht viel dafür, dass seine Familie in der zahlenmäßig von Griechen dominierten Vielvölkerstadt recht wohlhabend gewesen ist - das Land war wie gesagt gesegnet, der internationale Handel, der über den damals noch nicht versandeten Zugang zum Hafen von Tarsus abgewickelt wurde, machte viele Menschen reich.
Machte er
sie auch zufrieden? Ich stelle mir die Juden von Tarsus um das Jahr 10 herum,
in dem Paulus vermutlich geboren wurde, etwa so vor wie die Armenier im osmanischen
Reich 1900 Jahre später - wohlhabend, geachtet, aber immer auch ein wenig
misstrauisch angesehen. Wer anderen Göttern als die Mehrheitsgesellschaft
anhängt, kann auch allerlei finsteren Tuns verdächtigt werden.
Paulus hat
oft zum Ausdruck gebracht, dass diese Welt nirgendwo ein sicheres Zuhause
bietet. Man hat ihm dafür eine theologische Leibfeindlichkeit attestiert und
vielfach für einen rechten Miesepeter angesehen. Aber vielleicht hat er im
reichen und grünen Tarsus gelernt, sein Notgepäck im Schrank zu bewahren und
immer bereit zu sein, alles aufzugeben und in ein anderes Land zu ziehen.
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