Von meiner Tochter Carolin, die Stadtplanung studiert hat, weiß ich, dass man in der Wissenschaft allgemein von informellen Siedlungen spricht. Carolin hat während ihres Studiums drei Monate ein Projekt des Deutschen Entwicklungsdienstes in einem der größten Slums in Kairo (Manshiet Nasser) vor Ort begleitet, zum Teil unter nicht leichten Umständen. Auf ihren zähen Durchhaltewillen und ihre Furchtlosigkeit bin ich stolz.
Sie hat mir
damals von den wissenschaftlichen Diskussionen erzählt, die um den zu ihrer Zeit offenbar noch neuen Vorschlag kreisten, die informellen Siedlungen zu
legalisieren und den Menschen, die ihre Grundstücke an sich ja illegal
erworben haben, Eigentum daran zu geben. Wenig später habe ich in der Türkei
gesehen, dass diese Legalisierung dort schon lange praktiziert wurde. Die
staatliche Wohnungsbaugesellschaft TOKO hat überall im Land große Gecekondu-Gebiete
aufgekauft, hat parallel dazu in der Nachbarschaft Wohnblocks mit
Eigentumswohnungen gebaut und den Besitzern der Gecekondus dann einen Tausch
angeboten. Bei der Finanzierung des Kaufpreises der neuen Wohnung wurde ihnen
der Wert des alten Hauses recht großzügig als Eigenkapitalanteil angerechnet.
So ist der
Weg eines Türken vom Land in die Stadt oft in den zwei Stufen – Gecekondu /
moderne Eigentumswohnung – vorgezeichnet gewesen. Und so sind die Städte im
Ergebnis oft deutlich zweigeteilt in einen mustergültigen Hochhaus-Teil und
einen buntgewürfelten, meist zweigeschossigen Gecekondu-Teil, oft auch beides neben-
und durcheinander. Der Hochhaus-Teil dominiert das Bild der Städte je länger je mehr. Die meist aus Beton gebauten Gecekondus strahlen in der Regel nicht die bittere Armut der Blechhütten aus, die man etwa aus indischen oder brasilianischen Fernsehbildern kennt. Sie sind solider gebaut, und die Menschen wissen offenbar, dass sie hier nur in einer Art Durchgangszustand leben – das neue Hochhaus wächst ein paar Straßen weiter ja bereits in die Höhe.
Was ich
nicht kenne, ist der prozentuale Anteil der Menschen, die „es nicht schaffen“ mit
der Existenz in der Stadt und die sich am Ende nicht einmal ein Gecekondu
leisten können. Der Konkurrenzdruck der Abermillionen an türkischen Landflüchtlingen, von
denen die drei Millionen in Deutschland angekommenen Anatolier weniger als ein
Zehntel ausmachen – der viel größere Anteil lebt in den großen Städten wie Istanbul,
Ankara und Izmir – hält offenbar die Löhne unten und die Nachfrage nach Wohnraum hoch.
Das wird bei den unteren Einkommensgruppen die Gefahr verstärken, arm zu
werden.
Wir machen
am Ende unserer Reise eine lange unfreiwillige Fahrt durch ein riesiges
Gecekondu-Gebiet. Es liegt rings um den Regionalflughafen von Adana, und weil wir
eine Straße zu früh zum Abfluggebäude abgebogen sind, müssen wir eine
Ehrenrunde um den gesamten Platz drehen. Dabei fahren wir nach meinem Eindruck
einheitlich durch Gecekondu-Siedlungen.
So wie die
Gecekondus hier im Licht eines warmen Sommerabends ein wenig staubig, aber
vielfach bunt und lebendig in der Gegend stehen, können sie einem wie kleine
betonierte Bollwerke der Hoffnung erscheinen, Symbole des Strebens nach sozialem
Aufstieg. Wie viele Tränen in ihnen geweint werden, weiß nur Gott allein. Aber
das gilt wohl für alle Häuser der Welt, selbst für die Paläste.
Anmerkung: die Fotos habe ich auf einer früheren Türkeireise 2009 aufgenommen.
Anmerkung: die Fotos habe ich auf einer früheren Türkeireise 2009 aufgenommen.
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