Verbotsschild in einem Park: keinen Alkohol trinken, keinen Müll hinterlassen. |
Celal*, der
im Flugzeug von Adana nach Istanbul neben mir sitzt, Ist ein wohlhabender Mann.
Er ist 67 Jahre alt und hat je eine Wohnung in Adana und Istanbul und außerdem ein
Haus am Meer in der Nähe von Silifke. Das Haus hat er von seinem Vater geerbt,
der bereits schon in früheren Zeiten vom Geschäft mit der Baumwolle reich
geworden ist. Sie wurde bis vor kurzem überwiegend im Flussdelta südlich von Adana angebaut, ist aber wohl mittlerweile nach Osten gewandert, wo entlang der syrischen Grenze die Arbeitskräfte billiger sind und das Wasser aus den neuen Stauseen reichlich fließt.
Celal hat in Deutschland studiert, hat danach dort auch einige Jahre praktisch als Ingenieur gearbeitet und ist dann von seinem Vater in den Familienbetrieb zurückgeholt worden. Für den Ministerpräsidenten Erdogan hat Celal nur einen Vergleich: Hitler. Erdogan wolle die Türkei in einen mittelalterlichen islamischen Staat zurück verwandeln. Kein Alkohol, dafür Kopftuch und die Pflicht, drei Kinder und mehr in die Welt zu setzen. Erdogan betreibe seine Politik aus Eigeninteresse und habe sich zusammen mit seinen Freunden bereits unermesslich bereichert.
Celal hat in Deutschland studiert, hat danach dort auch einige Jahre praktisch als Ingenieur gearbeitet und ist dann von seinem Vater in den Familienbetrieb zurückgeholt worden. Für den Ministerpräsidenten Erdogan hat Celal nur einen Vergleich: Hitler. Erdogan wolle die Türkei in einen mittelalterlichen islamischen Staat zurück verwandeln. Kein Alkohol, dafür Kopftuch und die Pflicht, drei Kinder und mehr in die Welt zu setzen. Erdogan betreibe seine Politik aus Eigeninteresse und habe sich zusammen mit seinen Freunden bereits unermesslich bereichert.
Celal hat kein Verständnis für die jüngste Video-Botschaft
Erdogans an die deutschen Türken, in der er daran erinnerte, dass die alten kemalistischen Eliten jahrelang
allen treuen Dienern des Islams das Leben schwer gemacht haben. Nein, sagt Celal, im
Gegenteil: die Türkei sei seit Atatürk ein freies und demokratisches Land, hier
könne jeder ungehindert seinen Glauben leben. Was Erdogan wolle, sei dagegen
eine Verpflichtung aller Menschen auf islamische Grundsätze.
Auch von der
Hizmet-(Dienst)-Bewegung des Philosophen Fethullah Gülen hält Celal nichts.
Auch Gülen sei ein mehrfacher Milliardär und säße in den USA auf einem riesigen
Anwesen. Als ich ihm vom Besuch meines Freundes Nureddin bei Gülen
berichte und erzähle, dass dessen Zimmer
nur wenige Quadratmeter groß sei und nicht einmal einen Teppich habe, winkt er
ungläubig ab. 72.000 m² sei das Grundstück groß, das stehe fest.
Celal hat
die überlegene Art erfolgreicher Geschäftsleute, Gegenargumente mit kaltem
Blick an sich abprallen zu lassen. Bildet man Sätze, die mit einem „es könnte
aber trotzdem sein, dass“ beginnen, prüft er sie erst gar nicht und lässt einen die Schwäche solcher Sätze körperlich spüren.
Auch Aslan*
der Restaurantbesitzer in Göreme hat in Deutschland Ingenieurwesen studiert. Genau
wie Celal ist er von seinem Vater zurückgerufen worden, in die schon damals vom
Vater auf hohem Niveau betriebene Restaurantküche. „Mein Vater war ein weit im
Land bekannter Gourmet, bei ihm habe ich vieles von Kind auf gelernt", sagt Aslan – und er kocht selbst so wunderbar wohlschmeckende
Gerichte, dass man ihm jedes Wort zu diesem Thema glaubt.
Aslan ist in
seinem Urteil über Erdogan kaum weniger hart als Celal. „Er will uns seinen
Glauben aufzwingen“, sagt er. „Dabei sind wir gute Muslime. Vielleicht nicht
ganz so streng, aber wir glauben auch.“
Ich höre den
beiden mit gemischten Gefühlen zu. Was mich zunehmend in der Türkei irritiert,
ist das Denken in Schwarz und Weiß und der unerschütterliche Glaube an Gerüchte
und Flüsterparolen. Fethullah Gülen – nach allem, was ich von ihm weiß ist er ein
wie Gandhi sehr bescheiden lebender Mystiker – ist ein Milliardär, 72.000 m²! Zwischentöne sind
nicht erlaubt. Und immer sind „die“ von der jeweils anderen Seite bestens
organisiert und über geheime Verbindungen miteinander verbandelt. Gleiches hört
man natürlich auch über die Kemalisten, wenn man mit Anhängern Erdogans spricht.
Ich wundere
mich, warum die vielen entspannten und fröhlichen Türken, die man durch die
Straßen der Städte gehen sieht, nicht beständig die Straßenseite wechseln, wenn
ihnen wieder jemand von „denen“ entgegenkommt. Sie müssten doch eigentlich den
Feind jederzeit erkennen, in diesem zutiefst gespaltenen Volk.
Es gibt hier den Nationalsport der Schwarz-Weiß-Malerei und der damit
verbundenen Verschwörungstheorien. Ich habe manchmal Mühe, meine eigene
Welt dagegen zu setzen. Was ist anders in meiner Welt? Meine ist eine Welt der ausgewogene, manchmal bis hin zur Ratlosigkeit offenen
Urteile. Sie ist letztlich eine Welt der Bücher. Sie gründet sich unter vielen anderen Faktoren
auch auf das Vertrauen in Personen, die sich durch ihren Erfolg als wirtschaftliche, wissenschaftliche
und politische Führungskräfte ausgewiesen habe. Sie alle bewegen sich irgendwie
auf einer mittleren, unaufgeregten Linie. Es ist, verkürzt gesagt, die Welt von
FAZ und New York Times.
Ich wünschte
mir, dass meine Türken, besonders meine vielen Freunde unter ihnen, in dieser
Welt besser zu Hause wären. Differenzieren! Viel lesen! Das wird wohl bis ans
Ende meines Lebens meine Predigt für sie sein.
* Namen und
Orte geändert
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