Dienstag, 10. September 2013

Türkische Gespräche (II)



Verbotsschild in einem Park: keinen Alkohol trinken,
keinen Müll hinterlassen.
Celal*, der im Flugzeug von Adana nach Istanbul neben mir sitzt, Ist ein wohlhabender Mann. Er ist 67 Jahre alt und hat je eine Wohnung in Adana und Istanbul und außerdem ein Haus am Meer in der Nähe von Silifke. Das Haus hat er von seinem Vater geerbt, der bereits schon in früheren Zeiten vom Geschäft mit der Baumwolle reich geworden ist. Sie wurde bis vor kurzem überwiegend im Flussdelta südlich von Adana angebaut, ist aber wohl mittlerweile nach Osten gewandert, wo entlang der syrischen Grenze die Arbeitskräfte billiger sind und das Wasser aus den neuen Stauseen reichlich fließt.

Celal hat in Deutschland studiert, hat danach dort auch einige Jahre praktisch als Ingenieur gearbeitet und ist dann von seinem Vater in den Familienbetrieb zurückgeholt worden. Für den Ministerpräsidenten Erdogan hat Celal nur einen Vergleich: Hitler. Erdogan wolle die Türkei in einen mittelalterlichen islamischen Staat zurück verwandeln. Kein Alkohol, dafür Kopftuch und die Pflicht, drei Kinder und mehr in die Welt zu setzen. Erdogan betreibe seine Politik aus Eigeninteresse und habe sich zusammen mit seinen Freunden bereits unermesslich bereichert.
Celal hat kein Verständnis für die jüngste Video-Botschaft Erdogans an die deutschen Türken, in der er daran erinnerte, dass die alten kemalistischen Eliten jahrelang allen treuen Dienern des Islams das Leben schwer gemacht haben. Nein, sagt Celal, im Gegenteil: die Türkei sei seit Atatürk ein freies und demokratisches Land, hier könne jeder ungehindert seinen Glauben leben. Was Erdogan wolle, sei dagegen eine Verpflichtung aller Menschen auf islamische Grundsätze.
Auch von der Hizmet-(Dienst)-Bewegung des Philosophen Fethullah Gülen hält Celal nichts. Auch Gülen sei ein mehrfacher Milliardär und säße in den USA auf einem riesigen Anwesen. Als ich ihm vom Besuch meines Freundes Nureddin bei Gülen berichte  und erzähle, dass dessen Zimmer nur wenige Quadratmeter groß sei und nicht einmal einen Teppich habe, winkt er ungläubig ab. 72.000 m² sei das Grundstück groß, das stehe fest.
Celal hat die überlegene Art erfolgreicher Geschäftsleute, Gegenargumente mit kaltem Blick an sich abprallen zu lassen. Bildet man Sätze, die mit einem „es könnte aber trotzdem sein, dass“ beginnen, prüft er sie erst gar nicht und lässt einen die Schwäche solcher Sätze körperlich spüren.
Auch Aslan* der Restaurantbesitzer in Göreme hat in Deutschland Ingenieurwesen studiert. Genau wie Celal ist er von seinem Vater zurückgerufen worden, in die schon damals vom Vater auf hohem Niveau betriebene Restaurantküche. „Mein Vater war ein weit im Land bekannter Gourmet, bei ihm habe ich vieles von Kind auf gelernt", sagt Aslan – und er kocht selbst so wunderbar wohlschmeckende Gerichte, dass man ihm jedes Wort zu diesem Thema glaubt.
Aslan ist in seinem Urteil über Erdogan kaum weniger hart als Celal. „Er will uns seinen Glauben aufzwingen“, sagt er. „Dabei sind wir gute Muslime. Vielleicht nicht ganz so streng, aber wir glauben auch.“
Ich höre den beiden mit gemischten Gefühlen zu. Was mich zunehmend in der Türkei irritiert, ist das Denken in Schwarz und Weiß und der unerschütterliche Glaube an Gerüchte und Flüsterparolen. Fethullah Gülen – nach allem, was ich von ihm weiß ist er ein wie Gandhi sehr bescheiden lebender Mystiker – ist ein Milliardär, 72.000 m²! Zwischentöne sind nicht erlaubt. Und immer sind „die“ von der jeweils anderen Seite bestens organisiert und über geheime Verbindungen miteinander verbandelt. Gleiches hört man natürlich auch über die Kemalisten, wenn man mit Anhängern Erdogans spricht.
Ich wundere mich, warum die vielen entspannten und fröhlichen Türken, die man durch die Straßen der Städte gehen sieht, nicht beständig die Straßenseite wechseln, wenn ihnen wieder jemand von „denen“ entgegenkommt. Sie müssten doch eigentlich den Feind jederzeit erkennen, in diesem zutiefst gespaltenen Volk.
Es gibt hier den Nationalsport der Schwarz-Weiß-Malerei und der damit verbundenen Verschwörungstheorien. Ich habe manchmal Mühe, meine eigene Welt dagegen zu setzen. Was ist anders in meiner Welt? Meine ist eine Welt der ausgewogene, manchmal bis hin zur Ratlosigkeit offenen Urteile. Sie ist letztlich eine Welt der Bücher. Sie gründet sich unter vielen anderen Faktoren auch auf das Vertrauen in Personen, die sich durch ihren Erfolg als wirtschaftliche, wissenschaftliche und politische Führungskräfte ausgewiesen habe. Sie alle bewegen sich irgendwie auf einer mittleren, unaufgeregten Linie. Es ist, verkürzt gesagt, die Welt von FAZ und New York Times.
Ich wünschte mir, dass meine Türken, besonders meine vielen Freunde unter ihnen, in dieser Welt besser zu Hause wären. Differenzieren! Viel lesen! Das wird wohl bis ans Ende meines Lebens meine Predigt für sie sein. 

* Namen und Orte geändert

 

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