Die kleine Stadt L. im Märkischen Kreis, der 50. Geburtstag von Juan, einem spanischen Freund, der hier in L. geboren wurde, eine große bunte Schar von Gästen, von denen ich nur eine Handvoll Leute kenne, laute Musik, die jede Unterhaltung unterbindet, eine sehr säkulare, sorglose Gesellschaft nach meinem Empfinden, für mich die einzige Freizeitgestaltung deshalb: Essen und Trinken, Schlange stehen vor dem Büffet.
Die Musik
wird lauter, das Tanzen beginnt. Da die Männer sich ebenso wie ich vom Tanzen
drücken, tanzen die Frauen untereinander, ausgelassen und ohne Einhaltung bestimmter Tanzformen.
Plötzlich eine Überraschung. Die Frauen tanzen in die hintere Ecke des Raumes
und holen wie im Triumphzug den schweren elektrischen Rollstuhl von Juans um
zwei Jahre älteren Bruder Manuel auf die Tanzfläche. Manuel ist durch eine
schwere Muskelkrankheit gelähmt, fast bis zum Hals.
Manuel ist
jetzt mitten unter den Tänzern. Er hat ein feines Gesicht, gerade als sei es durch
das Leid ernst und schön geworden. Ich sehe, dass er lacht. Und er singt! Er
singt mit leiser Stimme, aber da er die Texte der 20 oder 30 Jahre alten
Schlager alle kennt, singt er sie zusammen mit seinen Geschwistern und
Verwandten ganz mühelos mit. Die Frauen fassen ihn an den reglosen Armen und
heben und senken sie, gerade als ob Manuel selbst tanzte.
Am Ende
kommt Juan dazu und stellt sich vor den Rollstuhl. Eine ganze Zeit stehen die
beiden Männer am Ende allein da, sie stehen sich Hand in Hand gegenüber,
schauen sich an und singen lachend die alten Lieder. Dann erklärt Manuel –
immer noch mit einem Lächeln – dass er jetzt ein wenig müde sei und man ihn
bitte in seine Ecke zurückfahren soll. Das geschieht auch.
Ich hatte
wenige Stunden vorher das Interview des Papstes gelesen und war voll von den
Visionen, die er entwickelt hatte. Er will Gott im Leben eines jeden Menschen
erkennen. Er will die Kirche auf den Weg zu denen schicken, die der Kirche den
Rücken gekehrt haben. Er will Wege der Barmherzigkeit gehen.Er sagt: „Die Diener des Evangeliums müssen in der Lage sein, die Herzen der Menschen zu erwärmen, in der Nacht mit ihnen zu gehen.“ Und ich sah mit diesen Worten noch frisch in meinem Kopf plötzlich vollkommen klar diese eine Erkenntnis: die Diener des Evangeliums werden die Barmherzigkeit und den Trost, den sie bringen wollen, bereits draußen in den entferntesten Winkeln der kirchenfernen Welt vorfinden. Gott ist im Leben eines jeden Menschen. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, in Manuels lachendem Gesicht.
(alle Namen und der Ort sind geändert)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen