Uçhisar,
Kappadokıen
Über die
Mondlandschaft der Tuffsteinfelsen hier im kappadokischen Hochland ist vor
vielen hundert Jahren auch der heilige Gregor gewandelt. Er wurde um 330 in der
Nähe der heutigen Stadt Aksaray geboren und hat im nahen Kayseri, das
damals Caesarea hieß, studiert. Später wurde er ein einflussreicher aber nicht
glücklicher Bischof in Konstantinopel.
Welche
Probleme haben seinem Glück im Weg gestanden? Meine eigenen Probleme, seine
Reden zu lesen und zu verstehen, hatte ich bereits
früher geschildert. Jetzt habe ich in einem Kommentar gelesen, dass sie in
gewisser Weise gleichlaufend sind. Es sind nicht die Probleme meines
Verstehens, sondern eigentlich die Probleme des ganzen Lebens von Gregor von
Nazianz.
Die
eigenartige Diskrepanz zwischen seiner tiefen Frömmigkeit und seiner
weltläufigen, mir übertrieben erscheinenden Rhetorik hat ihn selbst am
allermeisten gequält. Er hatte bei seinem Studium in Athen die Hochkultur
der Griechen und Römer kennen gelernt. Er war dort mit der ganzen Raffinesse
der künstlerischen Ausdrucksformen einer lebendigen Hochkultur bekannt gemacht
worden. Das zentrale Studienfach Rhetorik, in dem er eine hochklassige Ausbildung
bekam, diente damals offenbar der Gesamtheit der Kommunikation. Es ging um
alles, was man über Wissenschaft, Kunst und Lebensphilosophie an Wissen
vermitteln konnte.
Rhetorik war
sehr viel mehr als nur die Redegewandtheit bei öffentlichen Auftritten.
Rhetorik war die ganze Kunst, andere Menschen zu beeinflussen, und zwar so,
dass sie in der Lage waren, in den Idealen der damaligen Philosophie zu leben
und sich anleiten lassen, jederzeit das Gute und Richtige zu tun.
Von diesen
Idealen hatte sich Gregor innerlich abgekehrt. Er hatte aus den langen
kirchlichen Diskussionen der damaligen Zeit, welcher Natur Jesus gewesen war
(Gott ähnlich oder Gott gleich) für sich persönlich eine generelle Erkenntnis
über die Ähnlichkeit eines jeden Menschen mit Gott gewonnen. Ihm war klar
geworden, dass der Mensch sich nur über die Annäherung an den ihm verwandten
Gott dazu bringen könne, jederzeit das Gute und Richtige zu tun. Gregor
hatte damit einen neuen Zugang zu einer neuen „Pädagogik“ bekommen. In der Tat
sprachen die Griechen von „paida“ als Weg der Erkenntnis und
Erziehung.
Für Gregor
konnte diese Pädagogik nur aus der Erkenntnis der Ähnlichkeit mit Gott kommen.
Der Mensch musste Gott imitieren und musste sich ihm dazu annähern. Diese
Annäherung wollte Gregor dadurch erreichen, dass er in die Einsamkeit der
Flüsse und Wälder in der Nähe der Schwarzmeerküste zog und Gott in der Stille
und in der Askese suchte. Gleichzeitig war ihm bewusst, dass seine ganze
vornehme Ausbildung verbunden mit seinem großen Talent, auf sozusagen
klassische Weise, nämlich "rhetorisch" Einfluss auf andere
Menschen auszuüben, ihn zu einem Mann im Dienst der Kirche machte.
Ich glaube,
dass dieses Problem, das Schwanken zwischen dem Talent, andere Menschen zu
führen und dem tieferen Willen, die Einsamkeit zu suchen und Gott zu finden,
auch heute in vielen Menschen vorhanden ist, vielleicht in mehr Menschen als
man das vielleicht annehmen möchte.
Mir erzählte
neulich ein Freund, dass auf einem Seminar über spirituelle Erfahrungen, bei dem
etwa die Hälfte der Teilnehmer Mediziner und Pastoren, die andere Hälfte
dagegen Geschäftsleute waren, gerade die Leute aus der Wirtschaft die meisten
neue Impulse zur Wiederentdeckung alter Mystiker mitbrachten.
Vielleicht
wird es in Zukunft mehr und mehr solche Menschen geben, die beide Neigungen -
ich sage es abgekürzt: zum Management und zur Mystik - in sich selbst entdecken
und beide auch verwirklichen wollen. Man kann nur hoffen, dass sie mit der
Versöhnung der beiden Bereiche mehr Glück haben als Gregor. Sein lebenslanges
Ringen ist nach allem was man weiß nicht zu einem befriedigenden Ende gekommen.
Aber man hat ihn für seine offene Redeweise offenbar geliebt und seinen
Gedanken einen wichtigen Platz in der Kirche gegeben.
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