Dienstag, 13. September 2016

Wanderungen in der Mark Brandenburg (V): Der schwarze Eichenstumpf in Lehnin


Altarraum der Klosterkirche Lehnin
Von dem Zisterzienserkloster Lehnin aus haben Mönche nach dem Jahre 1180 große Teile des Landes urbar gemacht und den slawischen Völkern hier das Evangelium gebracht. Viele Legenden ranken sich um den frommen Markgrafen Otto, der das Kloster gestiftet hat, und um seinen ersten Abt, den Abt Sibold.

Diesen Missionar haben die übel gesinnten  Wilden recht unfreundlich begrüßt und ihn kurzerhand umgebracht. Sie hatten allerdings auch einige Gründe, ärgerlich zu sein. Einer bestand möglicherweise (nach neueren Forschungen) darin, dass die alte Eiche, unter der Markgraf Otto seinen Traum von der Erbauung des Klosters hatte, ein altes indigenes Heiligtum war. Man hatte also das Kloster und seine Kirche recht imperativ an die Stelle der alten Götterverehrung gesetzt.

Warum hat der Architekt der Kirche an diese alte Eiche erinnern wollen? Er hat sie so in den Bau eingefügt, dass man sie beim Hinaufschreiten zum Altar als zweite Treppenstufe benutzen kann. Wollte man damit sagen, dass bereits der alte Glaube die ersten Schritte zu Gott in sich eingeschlossen hatte, dass aber erst der neue Glaube den ganzen Weg bis zu Ende geht? Das wäre eine relativ tolerante Interpretation, zu der das neuzeitliche Christentum sicherlich nicht bereit ist. War das Mittelalter vielleicht zu einer größeren Ambiguitätstoleranz, um es mit einem modernen Wort zu sagen, in der Lage als wir heutigen?

Meine Gedanken schweifen ab. Meine Heimatgemeinde beschäftigen ganz ähnliche Problem wie die damaligen, denn die jungen Iraner, die seit einigen Monaten zu uns kommen, tragen sozusagen den Stumpf der alten Eiche noch lebendig in sich herum. Was können wir von ihnen erwarten, das sich bei ihnen ändert? Was werden sie von ihrem alten Glauben und ihren alten Wertvorstellungen in ihren Herzen behalten, wenn sie Christen geworden sind (was ihr fester Wille ist)?

Die Apostel Paulus hat uns mit seinem Wort von der "neuen Kreatur" eine Idealvorstellung vorgegeben, die uns erwarten lässt, dass jeder neue Christ schnell und radikal zu den Worten und Lehren Jesu hingezogen wird und sich radikal ändert. Wir erwarten in gewisser Weise, dass er in kürzester Zeit lernen wird, vor einer kleinen Gruppe von älteren Christen ein Bibelwort so auszulegen, dass es die älteren Christen erfreut. Aber kann man das wirklich erwarten? Muss man nicht an die hier in Lehnin greifbare Kraft des alten Eichenstumpfs des früheren Glaubens denken?

Und schließlich - muss man nicht, wenn man in den tiefsten Gründen seines eigenen Herzens gräbt, sich eingestehen, dass dort auch noch ein schwarzer Stumpf ist?

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