Unser Urlaub
hier im Havelland in der Nähe von Berlin sollte hauptsächlich dazu dienen, unsere vier in
Berlin lebenden Kinder, deren Partner und die vier Enkelkinder noch einmal
lange und ausgiebig sehen zu können. Das ist auf wunderbare Weise gelungen, bei
bestem Wetter. Wir sind wieder zu Hause in Remscheid und blicken auf viele
schöne Tage zurück.
So ein
bisschen stand bei unserer Reise aber zweitens auch die Frage im Hintergrund, ob wir uns nach
unserem Eintritt ins Rentnerleben auch in Berlin oder im Umland niederlassen
könnten. Diese Frage ist nicht so ganz leicht zu beantworten.
Warum leben Menschen an dem Ort, an dem sie leben? Obwohl ich beruflich immer mit Immobilien zu tun gehabt habe, habe ich keine befriedigende Antwort auf diese Frage bekommen. Auch meine Gespräche mit Migranten mit ihren oft dramatischen Ortswechseln haben mir nicht sehr viel weitergeholfen. Warum ist mein Urgroßvater um das Jahr 1880 herum aus dem Oberbergischen nach Barmen gezogen, zu Fuß und weitestgehend in ungesicherte, ja zunächst ärmliche Verhältnisse hinein?
Aus welchen
Gründen habe ich in meinen 43 Ehejahre in den zwei Häusern in Vorst bei Krefeld
und in Remscheid gelebt, die mir von meiner Familie und dem Familienunternehmen
zur Verfügung gestellt wurden? Sie haben mir gefallen, gewiss. Aber hätte ich mir die Orte, die Straßen auch selbst ausgesucht? Ich weiß es nicht.
Manchmal
denke ich, die meisten modernen Menschen sind überall da weitestgehend zufrieden, wo sie ein
vernünftiges Internet bekommen können. Das trifft mittlerweile auf fast alle
Orte in Deutschland zu. Vielleicht möchte man noch ein gutes Krankenhaus in der
Nähe haben und Schulen für die Kinder. Arbeitsplätze natürlich auch.
Nichts von
diesen Faktoren würde für einen Wechsel nach Berlin sprechen. Selbst wenn man
kulturelle Angebote hinzunimmt, so sind alle Menschen, die wie ich im Großraum
Köln leben, nicht viel schlechter gestellt als die Berliner.
Dafür müssen
diese vielfach mit stickigen Häuserzeilen vorlieb nehmen, die sich oft in drei
Reihen hintereinander an den Straßen entlang staffeln. Sie zahlen für Wohnungen
ohne Balkone und mit der eingeschränkten Wohnqualität eines Altbaus so viel wie
ein Remscheider für ein Häuschen mit Garten. Die sommerliche Hitze, die wir in
den letzten Tagen erleben konnten, sind sie vielfach schutzlos ausgeliefert.
Und trotzdem
geht von der großen Stadt Berlin eine Faszination aus. Woraus speist sie sich?
Vor wenigen
Tagen las ich in der New York Times die Gedanken eines alternden Mannes ("For a Long Life, Retire to Manhattan"), der
jetzt, wo sein aktives Berufsleben endet, in die Millionenstadt ziehen will, nach Manhattan. Er sagt
dazu sehr bewusst: er weiß, dass es seine letzten Lebensjahre sind, die er hier verbringen will. Er will
die Anonymität genießen, welche ihm die große Stadt bietet, er sucht sie geradezu.
Und er hat einen fatal klingenden, aber doch bedenkenswerten Grund.
Er sagt es
sehr direkt: Die Anonymität des Großstadtlebens macht dich bereit für die
Anonymität des Grabes. Der Gedanke hat mir sofort eingeleuchtet. Wer die
Anonymität des Großstadtlebens überwindet, kann in ihr zu Hause sein. Wer das
Anfangsgefühl hinter sich lässt, in den permanent gegenwärtigen Riesenmengen
von Mietern, Verkehrsteilnehmern, Konzertbesuchern nicht derjenige zu sein, der
hier eigentlich einer zu viel ist, wer versteht, dass hier eigentlich a l l e zu viel sind - der kann tatsächlich eines Tages ohne die Furcht sterben, eine Lücke zu hinterlassen. Und so zieht man sich also in die große graue
Anonymität zurück, macht fröhlich einer Reihe von zufälligen aber
nichtssagenden Bekanntschaften und wartet auf den Tod.
Mein
christliches Herz gibt sich einen Ruck und weiß auf einmal ganz sicher: nein,
dann sterbe ich lieber im Kreis von Menschen, die gemeinsam mit mir auf ein
ewiges Leben hoffen. Das Grab ist kein Rückzug in die Anonymität, es ist die
Rückkehr in den Kreislauf von Vergänglichkeit und Auferstehung, das
Bett im Gottesacker.
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