Freitag, 10. April 2020

Erinnerungen in den Zeiten von Corona (VII): Lean On Me


Schon seit einiger Zeit habe ich immer wieder einmal die Gottesdienste aus der schwarzen Harlemer Kirche des Pastors Michael Walrond über das Internet gehört. Seit dem 15. März predigt Pastor Michael vor einer leeren Kirche. Spätestens Anfang April, in der dritten Woche danach, ist es klar, dass sich diese Kirche in New York im Zentrum einer Katastrophe befindet. Wie reagiert sie darauf?

Pastor Walrond von der First Corinthians Baptist Church (FCBC), der selbst aufgrund einer Vorerkrankung zu einer Risikogruppe gehört, lässt an diesem Sonntag seine Vertreterin Heaven Berhane sprechen. Sie hat den bekannten Text über die Gemeinde als Leib aus 1. Korinther 12 gewählt, in der modernen Übersetzung von The Message*. Das ist eine Predigt, die man oft gehört hat, die aber jetzt, wo der Leib des Volkes alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, plötzlich neue Gedanken eröffnet.

Pastorin Heaven aktualisiert die Paulusworte durch ein über den Beamer gezeigtes Foto. Man sieht eine Feuerleiter auf der Rückseite eine Gebäudes in New York und daran befestigt ein Transparent: "We are in this together". Und tatsächlich ist ja das Gefühl heute allgegenwärtig, dass wir alle zusammen krank sind und dass die Krankheit meines Nachbarn mich persönlich angeht, weil sie eine ansteckende Bedrohung für mich ist. Und dieses Gefühl gibt den alten Bibelversen vom Leib einer Gemeinschaft eine neue Bedeutung.

Ist in dieser Bedrohung Gott gegenwärtig und spielt er eine Rolle? Heaven erzählt von einer im Internet kursierenden Ermutigung: die Leute geben sich das Lied "He’s got the whole world in his hands" untereinander weiter, um sich Mut zu machen. Die junge Pastorin, mitten im Auge des Sturms kennt natürlich die unterschwellige Frage, ob Gott wirklich noch alles in seinen Händen hat, oder ob ihm nicht etwas aus seinen Händen entglitten ist.

Es ist die alte Theodizee-Frage, die jetzt im Raum steht – wenn es Gott gibt, warum dann das Leid und warum das Böse?

Die Pastorin findet eine überraschende Antwort: die Welt ist gehalten, weil Gott sie hält, und er hält sie zusammen mit uns, in unserer Eigenschaft als divine beings, als göttliche Wesen.




Minute 19:55: „it is our divine being, our divine selves that make up the cells that hold up God´s hand“. Und so halten wir zusammen mit Gott die Welt (Min. 20:56) “holding the world up collectively, participating with God”.

Im weiteren Verlauf erzählt sie von ihrem Gespräch mit einer befreundeten Biochemikerin, die ihr über die mikrobiologische Verbindung der Körperzellen durch "connecting cells" gesagt hat (Min. 28:30) „connecting cells are not only a benefit they are an essential for life“. Und dann folgert sie in Bezug auf die schmerzliche Situation um sie herum in New York „pain will make us need essential connections“

Am Ende kommt sie (Min. 33:20) zu dem in der letzten Woche verstorbenen Sänger Bill Withers und seinem bekannten Lied "Lean OnMe". Das ist das Schlusslied und wird von den Sängern des kleinen Kirchenchors vorgetragen. Unser Leben im Leib der uns umgebenden Gemeinschaft besteht im Unterstützen des Nächsten - und im Empfang von Unterstützung. We all need somebody to lean on.

Am Ende schalte ich den Bildschirm mit dem Gefühl aus, die alte Theodizee-Frage auf neue Art und Weise gehört - und eine Antwort bekommen zu haben. 



*19 But I also want you to think about how this keeps your significance from getting blown up into self-importance. For nomatter how significant you are, it is only because of what you are a part of. An enormous eye or a gigantic hand wouldn’t be a body, but a monster.
[...]
25The way God designed our bodies is a model for understanding our lives together as a church: every part dependent on every other part, the parts we mention and the parts we don’t, the parts we see and the parts we don’t. If one part hurts, every other part is involved in the hurt, and in the healing. If one part flourishes, every other part enters into the exuberance.


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