Noch ist nicht sicher, ob Christiane und ich Mohammad am kommenden Dienstag in Dschenin treffen können. Er steckt mitten im Examen und hat unmittelbar danach eine Reise nach Tunesien geplant. Aber er hat über Facebook geschrieben, dass er sich ein oder zwei Stündchen freimachen will, auf jeden Fall. Nun hoffe ich außerdem, dass der freundliche Herr Zoar Berg, der auf israelischer Seite für eine gebietsübergreifende Entwicklungsagentur arbeitet, uns auch einen Weg durch die Grenzanlagen weisen wird. Wir schauten uns vorgestern den Film Das Herz von Dschenin an und fanden die Tore und Schleusen doch recht ehrfurchtgebietend.
Für mich ist es ein recht langer Weg bis zu diesem Treffen mit einem palästinensischen Moslem an seinem Heimatort. Dieser Weg hat eigentlich im Jahre 1971 begonnen, als ich für zwei Monate zu einem Bankpraktikum in Istanbul war und erstmals ein islamisches Land kennenlernte. Zwar habe ich zunächst nicht viel vom modernen Islam gesehen, aber ich habe eine islamisch geprägte Kultur erlebt, für die ich von Anfang an hohen Respekt empfunden habe.
Praktizierende Muslime habe ich anfags nur beim Besuch von Moscheen gesehen, wenige verstreute Beter, wenn man nicht am Freitag zum Hauptgebet kam, aber dann auch, überraschend, in einem der dunklen Seitenräume meiner Bank, wo inmitten von ungenutzten Schränken und Tischen und anderem Gerümpel ein alter Mann, der für die Bank Botengänge verrichtete, am Boden kniete und betete. Er hat mich zu Tode erschrocken, weil ich fast auf ihn getreten wäre.
Er hat gelächelt und mir mein Eindringen offenbar verziehen. Ich habe sehr viel später erfahren, dass die Muslime kein Problem haben, in der Öffentlichkeit zu beten. Sie kennen keine Anweisungen, die dem Jesuswort vom abgeschiedenen Beten im stillen Kämmerlein entspricht. Vermutlich könnten sie solche Regeln auch gar nicht einhalten, denn ein fünfmaliges Gebet am Tag bringt es wohl ganz von selbst mit sich, dass man bei der Auswahl des Ortes nicht immer wählerisch sein kann.Für mich ist es ein recht langer Weg bis zu diesem Treffen mit einem palästinensischen Moslem an seinem Heimatort. Dieser Weg hat eigentlich im Jahre 1971 begonnen, als ich für zwei Monate zu einem Bankpraktikum in Istanbul war und erstmals ein islamisches Land kennenlernte. Zwar habe ich zunächst nicht viel vom modernen Islam gesehen, aber ich habe eine islamisch geprägte Kultur erlebt, für die ich von Anfang an hohen Respekt empfunden habe.
Praktizierende Muslime habe ich anfags nur beim Besuch von Moscheen gesehen, wenige verstreute Beter, wenn man nicht am Freitag zum Hauptgebet kam, aber dann auch, überraschend, in einem der dunklen Seitenräume meiner Bank, wo inmitten von ungenutzten Schränken und Tischen und anderem Gerümpel ein alter Mann, der für die Bank Botengänge verrichtete, am Boden kniete und betete. Er hat mich zu Tode erschrocken, weil ich fast auf ihn getreten wäre.
Übrigens habe ich ebenfalls sehr viel später erfahren, dass die Muslime sich freuen, wenn sie Christen beten sehen. Weil sie selten Gelegenheit dazu haben, einen betenden Christen zu erleben, denken viele von ihnen, die Christen beteten überhaupt nicht. Wenn dann einer der Christen ein Tischgebet spricht, sind sie in vielen Fällen erleichtert und froh.
Zurück in meiner Heimatstadt habe ich nach der Türkeireise immer wieder einmal Kontakt zu den frommen Muslimen gesucht, aber zunächst wenig Möglichkeiten dazu gefunden. Das hat sich erst geändert, als die zweite Generation der eingewanderten Türken von sich aus mehr und mehr auf ihre deutschen Landsleute zuging und sie zum Gespräch einlud. So habe ich meinen frommen Freund Necattin bei einem offiziellen Essen zum Monat Ramadan im Jahre 2007 kennen gelernt.
Im Nachhinein kann ich sagen, dass diese Begegnung von Anfang an unter einem glücklichen Stern stand. Ich habe Necattin von meinem christlichen Engagement erzählt und ihn ein wenig überheblich gewarnt "ich bin ein Missionar!" Ich habe dann aber hinzugefügt, "und Sie vermutlich auch!" Necattin hat diese Bemerkung überaus freundlich aufgenommen und gesagt, dass nur Gott alleine über den Glauben im Herzen der Menschen entscheide, weshalb wir über alle Dinge des Glaubens frei reden könnten.
Das haben wir im Anschluss daran auch getan, und ich habe in Necattins Glauben eine vollständig neue Welt entdeckt, über die ich viel gelernt habe. Sie hat sich mir zwar letztlich nie ganz erschlossen, weil ich in meiner eigenen Glaubenswelt verwurzelt bin, aber sie ist mir doch wie ein Essen erschienen, das aus lauter ungewohnten Zutaten zubereitet wird, das aber einem Freund offenbar vorzüglich schmeckt und von dem man deshalb sagt, es kann ja nicht gar so schlecht sein! Was meinen christlichen Glauben betrifft, so habe ich ihn im Spiegel der islamischen Welt noch mehr zu schätzen und festzuhalten gelernt, und Necattin hat mir bestätigt, dass es ihm mit seinem muslimischen Glauben angesichts der christlichen Welt ganz ähnlich gegangen ist.
Mit Necattin war ich von Anfang an über viele Dinge des täglichen Lebens und der Welt um uns herum vollkommen einig. Dabei gab es allerdings eine große Ausnahme: Palästina und Israel. Das wurde nach wenigen Monaten unserer recht intensiven Gespräche deutlich, als die israelische Armee im Dezember 2008 im Gazastreifen einrückte. Necattin sah die harte Not der Palästinenser, ich sah den Versuch der Israelis, sich vor den Angriffen der Palästinenser zu schützen, den Kassam-Raketen und den Selbstmordanschlägen.
Unser freundschaftlicher Konflikt über dieses Thema lebte dann erneut wieder auf, als die türkische Regierung in einer für mich sehr unangemessenen Weise im Sommer 2011 Druck auf Israel ausüben wollte, um Israel zu einer Entschuldigung für die Vorfälle um die "Gaza Flotilla" zu bringen. Mein Eindruck war, dass die von der türkischen Küste aus gestarteten Schiffe mit heimlicher Unterstützung der türkischen Regierung in provokativer Absicht unterwegs gewesen waren und dass der Einsatz der israelischen Truppen, der zu neun Toten führte, zwar schlecht geplant aber durch das Verhalten der türkischen Besatzungsmitglieder auch entscheidend mit herbeigeführt worden war.
Nach einem längeren Hin und Her an eMails war mir am Ende klar, dass Necattin und ich und mit uns die Palästinenser und Israelis, die wir jeweils verteidigen wollten, nur dann zu einem Ausgleich untereinander kommen würden, wenn wir lernten, die Geschichte der jeweils anderen Seite mit unseren eigenen Worten nachzuerzählen und zu verstehen.
Und das wollte ich also, das will ich jetzt lernen: die Geschichte eines Palästinensers so zu berichten, dass zunächst der Palästinenser bestätigt: Du hast mich verstanden, und dass dann jeder Gesprächspartner, der immer noch - wie ich - mit dem Herzen instinktiv auf Seiten der Israelis ist, sagen kann: ich verstehe die Position der anderen Seite. Und wenn er dann danach auch noch sagt: ich will mich dafür einsetzen, ein neues Kapitel in der Geschichte aufzuschlagen, dann hätte ich vielleicht sogar etwas erreicht.
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