Donnerstag, 7. Februar 2013

Barmherzige Samaritaner

Blick auf die Ausgrabungen und in das Tal von Nablus,
dem alten Sichem
Berg Garizim über Nablus, 24. Januar 2013

Vor meiner Reise hatte ich etwas über die Samaritaner geschrieben, das ich jetzt korrigieren muss: die riesigen Gebäude auf dem Garizim, die erst vor wenigen Jahren freigelegt wurden, sind keine Reste eines samaritanischen Tempels.   Allerdings – ganz sicher bin ich mir nicht, sondern folge hier nur getreulich den Gedanken des renommierten Experten unter den Samaritanern, Benyamim Tsedaka, bei dem wir heute eine Art von Privatvorlesung erhielten. Er hat vor allen Dingen der Darstellung des "Spiegel" in der Ausgabe 15/2012 energisch widersprochen, in welcher die laut Spiegel erwiesene Existenz eines Tempels hier auf dem Garizim ein großes Fragezeichen hinter die Existenz des salomonischen Tempels in Jerusalem setzt.


Benyamim Tsedaka (und ich)
Benyamim Tsedaka, der sich "Benny" anreden lässt, hat bezüglich des Garizim-Tempels einen prominenten Gegner, der es anders sieht: Flavius Josephus, den jüdischen Historiker, der etwa von 37 bis 100 n. Chr. lebte und berichtet hat, bei der Zerstörung Sichems durch die Jerusalemer Hasmonäer um 129 v.Chr. sei auch der samaritanische Tempel zerstört worden.   


Opferstein des Abraham
Wie auch immer – die von einem hochkarätigen israelischen Archäologenteam um das Jahr 1980 begonnenen Ausgrabungen haben eine große Zahl von Gebäuden auf mustergültige Art freigelegt, deren Besuch allein schon wegen des spektakulären Ausblicks vom Gipfel des 881 m hohen Garizim lohnend ist. Wenn Benyamim Tsedaka Recht hat, dann lagen die Heiligtümer der Samaritaner zu allen Zeiten nicht innerhalb der Gebäudeanlage sondern unmittelbar daneben: der Fels, auf dem Abraham um ein Haar seinen Sohn Isaak geopfert hätte (1. Mose 22), die zwölf Steine, die Josua aus dem Jordan mit ins gelobte Land nahm (Josua 4), und eine große glatte Felsplatte, die als zu den ewigen Hügeln (giv'ot olam, 5. Mose 33,15) gehörend angesehen wird, die Mose in seinem Segen für den Stamm Joseph erwähnt.
Das Schöne an Benyamims Theorie ist, dass sie einen ununterbrochenen gottesdienstlichen Gebrauch dieser Stätten möglich erscheinen lässt, eine Kette, die tatsächlich bis in graue Vorzeiten zurückreicht.
Die Steine des Josua
Benyamim sagt, dass auch die Bemerkung der samarischen Frau am Jakobsbrunnen, dass unsere Väter auf dem Garizim angebetet haben, auf diese uralte Tradition hinweist. Sie sitzt im Gespräch mit Jesus (Johannes 4) in Sichtweite der Bergspitze, am östlichen Fuß des Garizim und meint – sagt Benyamim – mit unsere Väter nicht ihre eigenen samarischen Vorfahren der letzten Generationen, sondern die gemeinsamen Väter der Judäer und der Samaritaner. Sie haben hier vor Urzeiten eine Tradition begonnen, von der die Judäer in Jerusalem später abgewichen sind. Übrigens sagt auch die Frau nur, dass man auf diesem Berg angebetet hat, und nicht etwa „im Tempel auf diesem Berg“.
Die "ewigen Hügel" aus dem Moses-Segen
Was den wechselhaften Verlauf der Geschichte von späteren Samaritanern und Christen angeht, so sieht Benyamim eher Gegensätze als Gemeinsames. Jesus schickte seine Jünger mit der Maßgabe zum Predigen aus, sie sollen nicht zu den Samaritanern gehen (Matthäus 10,5). Andererseits wird aber in der Apostelgeschichte von einer erfolgreichen Missionierung Samariens berichtet, auch finden die in Jerusalem verfolgten Christen dort Schutz.
Der Priester Japhet
Wie auch immer – die Samaritaner behaupten ihre Existenz als kleine Sondergruppe der Kinder Israel, und sie retten sich durch Verfolgungen und vor allem durch demographischen Wandel hindurch bis auf den heutigen Tag. Der Priester Japhet, 69 Jahre alt, der mich nach dem Besuch des Museums mit einem besonderen Segen entlässt, hat eine Schautafel, auf der alle seine 133 Vorfahren aufgeführt sind, die ihn über den Urpriester Aaron mit dessen Stammvater Levi verbinden.
Mir erscheint der Platz auf dem erhabenen Berg Garizim ein besonderer Ort zu sein, an dem wie kaum sonst in der Welt eine uralte Hoffnung bis heute am Leben erhalten wird und konkret sichtbar bleibt: dass die Wohnung Gottes bei den Menschen, die Schechina eine reale Möglichkeit auf dieser Welt ist.

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