Blick auf die Ausgrabungen und in das Tal von Nablus, dem alten Sichem |
Vor meiner Reise hatte ich etwas über die Samaritaner geschrieben, das ich jetzt korrigieren muss: die riesigen Gebäude auf dem Garizim, die erst vor wenigen Jahren freigelegt wurden, sind keine Reste eines samaritanischen Tempels. Allerdings – ganz sicher bin ich mir nicht, sondern folge hier nur getreulich den Gedanken des renommierten Experten unter den Samaritanern, Benyamim Tsedaka, bei dem wir heute eine Art von Privatvorlesung erhielten. Er hat vor allen Dingen der Darstellung des "Spiegel" in der Ausgabe 15/2012 energisch widersprochen, in welcher die laut Spiegel erwiesene Existenz eines Tempels hier auf dem Garizim ein großes Fragezeichen hinter die Existenz des salomonischen Tempels in Jerusalem setzt.
Benyamim Tsedaka (und ich) |
Opferstein des Abraham |
Wie auch
immer – die von einem hochkarätigen israelischen Archäologenteam um das Jahr 1980
begonnenen Ausgrabungen haben eine große Zahl von Gebäuden auf mustergültige Art freigelegt, deren
Besuch allein schon wegen des spektakulären Ausblicks vom Gipfel des 881 m hohen Garizim
lohnend ist. Wenn Benyamim Tsedaka Recht hat, dann lagen die Heiligtümer der
Samaritaner zu allen Zeiten nicht innerhalb der Gebäudeanlage sondern unmittelbar daneben: der
Fels, auf dem Abraham um ein Haar seinen Sohn Isaak geopfert hätte (1. Mose 22),
die zwölf Steine, die Josua aus dem Jordan mit ins gelobte Land nahm (Josua 4),
und eine große glatte Felsplatte, die als zu den ewigen Hügeln (giv'ot olam,
5. Mose 33,15) gehörend angesehen wird, die Mose in seinem Segen für den Stamm
Joseph erwähnt.
Das Schöne an Benyamims Theorie ist, dass sie einen
ununterbrochenen gottesdienstlichen Gebrauch dieser Stätten möglich erscheinen lässt, eine Kette, die
tatsächlich bis in graue Vorzeiten zurückreicht.
Die Steine des Josua |
Benyamim sagt,
dass auch die Bemerkung der samarischen Frau am Jakobsbrunnen, dass unsere Väter auf dem
Garizim angebetet haben, auf diese uralte Tradition hinweist. Sie sitzt im
Gespräch mit Jesus (Johannes 4) in Sichtweite der Bergspitze, am östlichen Fuß
des Garizim und meint – sagt Benyamim – mit unsere Väter nicht ihre eigenen samarischen Vorfahren der letzten Generationen, sondern die gemeinsamen
Väter der Judäer und der Samaritaner. Sie haben hier vor Urzeiten eine Tradition
begonnen, von der die Judäer in
Jerusalem später abgewichen sind. Übrigens sagt auch die Frau nur, dass man auf
diesem Berg angebetet hat, und nicht etwa „im Tempel auf diesem Berg“.
Die "ewigen Hügel" aus dem Moses-Segen |
Was den
wechselhaften Verlauf der Geschichte von späteren Samaritanern und Christen
angeht, so sieht Benyamim eher Gegensätze als Gemeinsames. Jesus schickte seine
Jünger mit der Maßgabe zum Predigen aus, sie sollen nicht zu den Samaritanern
gehen (Matthäus 10,5). Andererseits wird aber in der Apostelgeschichte von einer
erfolgreichen Missionierung Samariens berichtet, auch finden die in Jerusalem
verfolgten Christen dort Schutz.
Der Priester Japhet |
Wie auch
immer – die Samaritaner behaupten ihre Existenz als kleine Sondergruppe der
Kinder Israel, und sie retten sich durch Verfolgungen und vor allem durch
demographischen Wandel hindurch bis auf den heutigen Tag. Der Priester Japhet,
69 Jahre alt, der mich nach dem Besuch des Museums mit einem besonderen Segen
entlässt, hat eine Schautafel, auf der alle seine 133 Vorfahren aufgeführt
sind, die ihn über den Urpriester Aaron mit dessen Stammvater Levi verbinden.
Mir
erscheint der Platz auf dem erhabenen Berg Garizim ein besonderer Ort zu sein,
an dem wie kaum sonst in der Welt eine uralte Hoffnung bis heute am Leben
erhalten wird und konkret sichtbar bleibt: dass die Wohnung Gottes bei den Menschen, die Schechina eine reale Möglichkeit auf dieser Welt ist.
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