Samstag, 25. September 2010

Abschied vom Reiseschriftsteller





Heute um 13.00 Uhr bringt uns Germanwings von Bastia zurück nach Köln. Wir nehmen Abschied von einer schönen Zeit auf einer schönen Insel. Für mich ist es der Abschied von meinem Leben als „Reiseschriftsteller“, das setze ich in Anführungszeichen, weil mir gerade in diesem Urlaub bewußt geworden ist, wieviel mir für dieses Leben fehlt.

Die Korsikaberichte meines großen Vorbildes W. G. Sebald, die wir uns an manchen Originalschauplätzen laut vorgelesen haben, machen sehr deutlich, was man mitbringen muß, um wirkliche Reiseliteratur zu schreiben. Es muß eine Literatur sein, die sich weit über das Niveau von Postkartengrüßen erhebt und wirklich das erzählt, was die Menschen interessiert und betrifft.

In dem Bergdorf Evisa sitzt Sebald in der Nachsaison an einem verregneten Tag in einem Dorfcafé und sieht einem blinden, ärmlich gekleideten Einheimischen zu, wie der sein Glas Pastis trinkt. Das milchige Grau in seinem Getränk korrespondiert eigenartig mit der Farbe seiner erloschenen Augen. Draußen geht im Regen eine schwarz gekleidete Frau vorbei, dann ein Schwein „in die andere Richtung“, notiert Sebald genau. Sonst geschieht nichts. Dann kommen allerdings aus dem Radio korsich-patriotische Lieder und Vorträge, von denen Sebald im Folgenden genauere Kenntnisse mitteilt. Er hat also recherchiert, hat bei der Kellnerin gefragt, vielleicht sogar über die Radiostation etwas in Erfahrung gebracht. Am Ende steht ein in sich abgeschlossenes perfektes Bild.

Bei unserem Besuch (Foto oben) gingen dagegen nur Touristen die Straße auf und ab, aus den Lautsprechern der Cafés kam die übliche Welt-Pop-Musik, kein Schwein weit und breit. Was wäre zu tun, um trotzdem Sebald-Literatur zu gewinnen? Nun, zum einen muß man wohl mehr Zeit mitbringen als wir sie hatten. Auch eine Reise als Einzelperson, meine Frau möge den Gedanken verzeihen, ist ggf. anzuraten, weil man für manche Situationen still und beharrlich wie ein Jäger ansitzen muß.

Als Drittes – und hier nun keimt für jeden modernen Aspiranten der Reiseschriftstellerei wieder Hoffnung auf – muß Gelegenheit zur Recherche gefunden werden. Die Möglichkeit dazu ist in den 15 Jahren, seit Sebald in Evisa war, exponentiell gewachsen, durch das Internet. Ich erwähne nur das Beispiel der melancholischen Musik des Korsen Petru Guelfucci, die ich über das iPhone identifizieren konnte und nun durch Wikipedia- und sonstige Einträge über den Sänger ergänzen kann (siehe ganz unten).

Vielleicht gibt es eine Geschichte über ihn, die sich weiterzugeben lohnt, die Dich, mein verehrter Leser, anspricht. Dir ganz persönlich gilt der Dank für die Begleitung durch meinen Urlaub – durchschnittlich etwa 35 Besuche meines Blogs pro Tag waren zu verzeichnen, das ist eine stattliche Zahl. Wenn Du dies bis zum Ende gelesen hast, darfst Du beim nächsten Besuch in Remscheid ein Glas kühlen korsischen Rosé bei mir trinken, Neuentdeckung der Abende hier, oder wenn Du keinen Alkohol trinkst, treuer Nachfolger der Hohen Quran, ein Brot mit Marmelade vom Erdbeerbaum, mit Tee dazu. Ich muß alles nur in Deutschland finden und kaufen, denn im Koffer ist kein Platz mehr.

Zum wehnmutsvollen Schluß jetzt das komplette Lied Corsica von Petru Guelfucci, 1955 geboren in Sermanu in der Castaggniccia, südlich von Bastia. Unten angehängt auch der Text, in Korsisch und Französisch.





In un scornu di lu mondu,
Ci hè un lucucciu tenerezza
Ind'u mio core, maestosu,
Imbalsama di purezza
Ghjuvellu di maraviglie,
Ùn ne circate sumiglie,
Ùn truverete la para ;
Ghjè ùnica, sola è cara.

Córsica.

Face sempre tant'inviglia
Ssu scogliu ciottu in mare,
Tesoru chì spampilla
Sacru cume un altare.
Calma, dolce cum'agnella,
Generosa è accugliente,
Si rivolta è si ribella
S'omu disprezza a so ghjente.

Córsica.

Französisch:

Dans un recoin du monde
il est un petit coin de tendresse
qui dans mon coeur, majestueux,
embaume de pureté
joyau de merveilles,
n'en cherchez pas de semblables,
vous n'en trouverez pas de pareil ;
elle est unique, seule et chérie.

Corsica.

Il fait toujours tellement envie
ce rocher dans la mer
trésor étincelant
sacré comme un autel.
Calme, douce comme un agneau,
généreuse et accueillante,
elle se révolte et se rebelle
si l'on méprise les siens.

Corsica.



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