Der Wolf
Der große graue Leitwolf der Boule-Spieler unter den Platanen am Hafen in Macinaggio ist ein Einwohner der Stadt, kein Tourist. Auch seine fünf Mitspieler, wie die reizvolle Suzanne, die als „pointeur“ immer die erste Kugel für ihre Mannschaft wirft, sind alles Einheimische.
Suzanne kommt mit ihren Würfen oft so nahe an die kleine Zielkugel, das „cochonnette“, heran, daß die Männer der gegnerischen Mannschaft mehrere Kugeln benötigen um sie zu übertreffen, oder – was Aufgabe des Wolfes ist – sie mit einem gezielten Gewaltschuß von ihrem Ort zu entfernen.
Ein „tireur“ ist, wer das kann, und anders als der „pointeur“ kann er nur grandios gewinnen oder grandios verlieren. Meist geschieht dem Wolf letzteres, die Kugel setzt knapp vor dem Ziel auf und springt um Millimeter über die Kugel des Gegners, die eigentlich weggeschossen werden sollte. Der Wolf hat den richtigen Charakter, um über solche Niederlagen mit einer wegwerfenden Geste hinwegzukommen, und niemand wagt es, ihn wegen des erfolglosen Schusses zu tadeln. Wenn das „tire“ dagegen einmal gelingt, blickt er mit dem selbstbewußten Blick eines Mannes um sich, für den solche spektakulären Schüsse alltäglich sind, und sammelt den Beifall der Umstehenden ein, ohne ihn groß zu beachten
Später in der Bar sitzt er am Nebentisch und ich kann ihn in ein kurzes Gespräch verwickeln. Er hat zuvor die jungen Mädchen ausgiebig zur Begrüßung geküßt, wie es sich für einen alten Wolf gehört. Als er zum Abschied die Hand hebt und uns eine „bonne journée“ wünscht, weiß ich, daß ich ab jetzt unter dem Segen eines der wichigsten Männer der Stadt gehe.
Die Diwa
Auf dem letzten Anstieg zur obersten Terrasse der Wasserfälle von Vizzavona überholen wir ein Rentnerehepaar aus Toulouse, das einen winzigen Hund mit sich führt, den sie „Guido“ rufen, wenn ich das richtig verstehe. „Comme Westerwelle, notre Ministre d‘Exterieur?“ frage ich, aber ich werde aufgeklärt: „Diwo“ heißt er, und zwar wurde er so genannt, weil Frauchen eine Diwa war, die früher einmal an der Oper Toulouse sang.
„Beaucoup de Mozart“, sagt sie und singt uns hoch in den Bergen ein paar Takte aus der Zauberflöte vor. Wagner hat ihr nicht so gelegen, aber Bach umso mehr. Ja, auch Oratorien hat sie gesungen, und ihr Mann (der eine Kappe mit einem Nackenschutz aus Stoff trägt und damit wie ein Fremdenlegionär aussieht) hat im Chor gestanden dabei. Und sie singt uns den Anfang von „Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten“ aus der Johannespassion vor, hoch in den Felsen am Monte d'Oro.
Übrigens kennt der Herr mit dem Nackenschutz den klassischen Witz vom Amerikaner nicht, der von Paris nach Toulouse will und am Schalter etwas bestellt, was sich nach tu-tu-tuluus anhört (two to Toulouse). Der Mann am Schalter antwortet bekanntlich täterätätä. Ich hatte angenommen, den Witz lernte man in Toulouse in der Schule.
1 Kommentar:
Adenauer hat dieses Spiel, oder eine seiner Varianten, im Urlaub auch immer gespielt. War er grauer Leitwolf im Team? Hatte er eine ähnlich katzenhafte Pointeuse? - Die Geschichtsbücher schweigen.
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