Wenn der Messias um das Jahr 1950 herum nach Israel gekommen wäre und sich dort nach den Wünschen des Staatsgründers David Ben Gurion gerichtet hätte, dann wäre er vermutlich als Wasserbauingenieur erschienen. Ben Gurion, der die letzten Jahre vor seinem Tod im Jahre 1973 in der Wüste gelebt hat, träumte von einem die Wüste beherrschenden und fruchtbar machenden Volk Israel. Am Eingang der Ben-Gurion-Universität, die unweit von seinem Grab (Foto rechts) in Sede Boqer gelegen ist, mitten in der Negev-Wüste, steht Ben Gurions Vision in Stein gemeißelt:
We shall bloom the desolate land and convert the spacious Negev into a source of force and power, a blessing for the state of Israel.
Das sind zweifellos messianische Worte, die ein Intellektueller des 20. Jahrhunderts wie Ben Gurion einer war aber nicht religiös verstanden hat, sondern getrieben von einem starken Fortschrittsglauben. Eine von grünen landwirtschaftlichen Flächen durchzogene Negev-Wüste ist ihm möglicherweise als das letzte große Ziel allen Fortschritts erschienen, Daseinsberechtigung für ein Volk vertriebener europäischer Intellektueller, auch Daseinsberechtigung gegenüber den eingeborenen Palästinensern, diesen Wüsten-Arabern, die unverzüglich Frieden machen würden ,wenn sie den Segen bemerkten, den diese Wüstenbewässerer für die ganze Welt mit sich brachten.
Heute ist rund um die Universität und den Kibbuz Sede Boqer herum immer noch dieselbe Wüste wie zu Ben Gurions Zeiten, und auch die kleinen Studenten-Häuser auf dem Campus schauen auf kahle Vorgärten aus braunem Wüstenmergel. Zwar sind die Straßen von Büschen gesäumt, die sorgfältig über im Boden verlegte Bewässerungsrohre getränkt werden – Geheimnis der Bewässerungskunst: nicht durch die Luft besprengen, sondern über den Boden beträufeln! – aber die Wüste ist überall ehern und unbesiegbar gegenwärtig, als Lebensprinzip.
Von Eilat aus planen wir einen kurzen Weg durch die Wüste in der Nähe des ägyptischen Grenzübergangs in den Sinai, kommen aber überraschend in das trockene Flußbett des Zefahot mit einem gut bezeichneten Wanderweg, an dessen Ende wir über einen Berganstieg, der ähnlich steinig ist wie seine Verwandten in den Alpen, den 278 m hohen Gipfel des Zefahot erreichen, von dem aus man einen gewaltigen Blick auf den Golf von Aqaba hat. Die Berge Saudi Arabiens und Jordaniens liegen gegenüber, die Städte Aqaba (Jordanien, Foto) und Eilat (Israel) liegen friedlich am Ende des Golf bieinander, hinter uns türmen sich braune Wüstenberge auf, die teils zum Negev gehören, zum größeren Teil aber bereits zum ägyptischen Sinaigebiet. Es ist bewölkt und es weht ein frischer Wind vom Meer, das macht den alle Anstieg erträglich. Weit im Süden haben sich die Wolken ein wenig geöffnet und werfen einen gleißenden Lichtkegel auf das Meer und die Küste der Sinai-Halbinsel.
In unseren Gedanken ist der Wüstenmann Mose die beherrschende Person, er könnte jederzeit hinter jeder Ecke auftauchen. An einer Stelle im etwas kiesigen Flußbett des Zefahot sind wir sicher: hier haben die ersten Kinder den Mose gefragt: „Mose, wann sind wir in Jerusalem?“ Und Mose hat einen Augenblick in seinem Loderzorn überlegt, ob er der Tafel mit den zehn Geboten nicht noch ein elftes hinzufügen wollte: „Nicht fragen sollst du!“
Thomas Mann hat Mose schön beschrieben, wie er allzeit dem Volke einprägen wollte: „Du sollst kein Gehudel sein vor dem HErrn, Deinem Gott!“ Aber die Hudelei der Menschen ist vermutlich ebenso unabänderlich wie die die Trockenheit der Wüste, die der moderne Mose Ben Gurion so gerne besiegt hätte.
1 Kommentar:
Vielen Dank, dass Du mich hast daran teilhaben lassen.
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