Sonntag, 29. Januar 2012

Sprache



Dass ich vor sieben Jahren an der kirchlichen Hochschule in Wuppertal einen Kurs in biblischem Hebräisch absolvieren durfte, sehe ich als einen tiefen, mich glücklich machenden Einschnitt in meinem Leben an. Leider muss ich allerdings sagen, dass meine Kenntnisse hier in Israel gar nicht so sehr helfen, denn die meisten Straßenschilder wiederholen den Inhalt auch in lateinischen Buchstaben (und immer auch in arabischen), die Speisekarten und vieles andere mehr sind mehrsprachig – und wenn dann doch einmal ein Geldautomat ausschließlich hebräische Buchstaben auf den Bildschirm bringt, dann hilft mir mein „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ auch nicht weiter.

Allerdings verleitet es mich beständig zu kleinen Übersetzungsspielen – etwa beim Warten auf den Aufzug, der offenkundig Ma-alit heißt, wie ich feststelle.  Ich erkenne das „al“ in der Mitte des Wortes, welches „hoch“ oder „hinauf“ heißt, in El Al der Fluggesellschaft steckt es, die einen hoch hinauf an den Himmel bringt, und in dem schönen Wort aliya, welches das Hinaufgehen bezeichnet – hinauf nach Jerusalem oder heute allgemein hinauf nach Israel, wo man als Einwanderer etwa sagt, „ich habe 1987 Aliya gemacht“.
Mein Aufzug ist ein „Hinaufer“ oder „Hocher“, das „ma“ zu Beginn bezeichnet bei vielen hebräischen und auch arabischen Worten den Ort eines Geschehens oder die Tatsache, dass etwas geschieht, das „it“ am Ende wohl so etwas wie das „or“ in elevator. Das deutsche Wort „Aufzug“ enthält die weitere Information, dass man gezogen wird, das Hebräische ist kürzer – und vermutlich unpräziser, denn auch ein einfaches Seil kann ja wohl ein „Hinaufer“ sein, denke ich.
Aber ich denke vermutlich falsch. Das merke ich als ich in Yad Vashem auf der Straße der Gerechten unter den Nationen, auf der unter anderen auch Oskar Schindler eine Erinnerung erhalten hat, den Namen Chassidim für „Gerechte“ finde („righteous among the nations“ steht hier in englisch). Ich hatte das Zaddiqim erwartet, das in Martin Bubers erzählungen so oft vorkommt, bin mir des Gelesenen nicht sicher und frage an einem Informationsstand nach, wie es genau heißt.
Ja, bestätigt eine kleine energische Museumsführerin, Chassidim sei richtig. Also – frage ich – dasselbe Wort wie für die fromme chassidische Bewegung? Nein, sagt die Dame mit großem Nachdruck, das sei etwas vollkommen Anderes, das eine sei eine religiöse Bewegung, und hier das seien Gerechte. Nun weiß ich aus einem langen Artikel von Martin Buber, dass der Konsonantenstamm ch-s-d die Huld die Treue bezeichnen, die ein Untertan seinem König schuldet, und die dieser in abgewandelter Form von ihm zurückerhält. Chassiden wie Oskar Schindler würden zu diesem Verständnis passen, da sie etwas Höherem, hier den Prinzipien der Menschlichkeit treu geblieben sind. Aber die Dame verweigert mir mit rollenden Augen jeden Bezug zwischen dem einen und dem anderen Begriff. Dabei ist es nun wirklich dasselbe Wort.
Offenbar lesen die Juden ihre Worte ganz stark aus deren Zusammenhang. Das macht es ihnen überhaupt erst möglich, alle Worte als reine Konsonantenfolgen zu schreiben und in den allermeisten Fällen, die in der Bibel (auch in dem im jüdischen Gottesdienst im Gebrauch befindlichen Tanach) hilfsweise als Punkte beigefügten Vokale, wegzulassen. Unsere Kanzlerin heißt hier Mrkl, und ob sie Murkel, Morkel oder Merkel gesprochen wird, das muß man nicht lesen, das muss man wissen.
Entsprechend bleiben meine zweimaligen Ansätze, bei einem Gesprächspartner das Geheimnis des kleinen Wortes an oder ani zu klären, ergebnislos. Es heißt „elend“ aber auch „sanftmütig“, und bereits die erste Übersetzung des Tanach, des Alten Testamentes hat die Doppelbedeutung nicht in die neue Sprache (griechisch, 200 vor Christus) hinüberbringen können und hat entweder das eine oder das andere übersetzt. Ja, sagen die Israelis, das kann beides heißen. Aber wie man das entscheidet, das kann mir keiner erklären.
Ich habe mit dem Eintritt in diese neue Sprache offenbar ein Tor geöffnet, hinter dem sich sieben weitere verbergen. Wohlan, laßt uns mutig weiter schreiten und Fragen stellen!  

1 Kommentar:

Nureddin Öztas hat gesagt…

Das Arabisch ist mit dem Hebräischen verwandt und folgt daher fast den gleichen Regeln. Auch im Arabischen könnt man M-r-k-l, ohne Wissen Morkul lesen. Andererseits, ist es gut, dass die Sprache es einem nicht zu leicht macht. So werden die grauen Zellen ständig trainiert. Mit unserer deutschen Sprache und den tausenden von grammatikalischen Regeln und tausenden von Ausnahmen, haben es Nichtdeutsche allerdings nicht weniger schwer.Ich finde zum Beispiel großartig, dass ein Vorwort eines Wortes wie "kommen", den Sinn vollkommen verändert. "Umkommen" , " Auskommen", " Einkommen" , "Verkommen" , " Bekommen" etc. So passiert es nicht selten, dass ein nichtdeutscher Deutschschüler, leicht so einiges missversteht und verzweifelt. Wie viel "Einkommen" hast Du? "Kommen" wohin ? Daraus könnte ein Satiriker sicher fruchtbare Dialoge ableiten. Deutsche Sprache, nicht weniger schwere Sprache als das Hebräische.