Freitag, 27. Januar 2012

Yad Vashem


Das Museum der Geschichte des Holocaust ist ähnlich geordnet, entlang einem Zeitstrahl, wie das Museum der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands in  Bonn. Die beiden Häuser würden nahe aneinandergesetzt sogar zueinander passen, denn das Ende des einen, die Zerstörung Deutschlands und die Befreiung der Juden, ist der Anfang des anderen. Sie passen darüber hinaus noch aus einem tieferen Grund zueinander: beide erzählen die Geschichte Deutschlands.

Die Geschichte meines Landes, die hier in Yad Vashem erzählt wird, ist dunkel und grausam. Sie ist außerdem laut und aufdringlich, und etwa nach der Hälfte des Museums fragt man sich, ob man nach all den „Maßnahmen“ und „Umsiedlungsbefehlen“ und „Säuberungen“ nicht lieber seine angestammte Sprache verleugnen und für den Rest des Lebens eine andere Sprache sprechen sollte. Niemand versteht in diesem in Hebräisch und Englisch aufgebauten Museum mehr als ein Deutscher, versteht im buchstäblichen Sinn, denn die meisten ausgestellten Dokumente der Grausamkeit sind ja in Deutsch geschrieben. Alles schreit mich als Deutschen an, auch durch die überall aufgestellten Monitore mit Zeugnissen von Überlebenden, die man sich manchmal ausgeschaltet wünschte, um einen Raum der Stille für sich selbst und für die Würde der Toten zu finden.
Aber sie sollen ja nicht ruhen, die Toten, sie sollen im Tod das erhalten, was man ihnen im Leben genommen hat, einen Namen (schem) und einen Ort (yad, was eigentlich „Hand“ oder „Handzeichen“ bedeutet), einen Ort, an dem man sie kennt. Das gelingt auf beindruckende Weise, und wenn man am Ende unter der runden Kuppel mit Bildern und Lebensläufen vieler ermordeter Juden steht und die Akten rings an den Wänden betrachtet, in denen mittlerweile 3.500.000 Einzelschicksale namentlich dokumentiert (und jetzt auch ins Internet gestellt worden) sind, dann kehrt schließlich doch ein wenig Ruhe ein und man verläßt das Museum an seinem oberen Ende mit einem Blick in den Himmel, in die grünen Hügel von Judäa oder auch ins Nichts, je nachdem, wie man es betrachtet.
Das Museum ist keilförmig in den Berg hinein gebaut, wie ein langes, kieloben gedrehtes Schiff. Es soll allein schon durch seine schneidende, spaltende Form dokumentieren, dass der Holocaust oder die Schoah, wie die Juden sagen, den elementaren Zusammenhalt der Erde zerstört hat.
Ich habe zu meinem Glück Eltern und Lehrer gehabt, die mir die Schändlichkeit dessen, was in Deutschland geschehen ist, nicht verschwiegen haben. Ausserdem habe ich selbst geforscht und gelesen, ein Leben lang, so dass mir viele Bilder dieser Ausstellung bereits lange vorher bekannt waren. Trotzdem haben sie mich erneut mit ihrer ganzen Wucht getroffen. Ich wünschte, alle Leugner und Phantasten dieser Welt, von den Neonazis bis zu Ahmedinejad in Teheran, würden für eine oder zwei Stunden durch diese Ausstellung gehen. Alles ist korrekt erzählt, alles ist wahr, furchtbar wahr.
Und ich wünschte mir ein zweites. Ich wünschte mir, dass die Geschichte der Täter noch genauer, noch unvoreingenommener erforscht wird. Das Museum setzt ohne Rückfragen voraus, dass man Menschen politisch so verblenden kann, dass in ihnen eine dumpfe Schlächtergesinnung entsteht, welche sie jedes Mitgefühl für sterbende Männer, Frauen und besonders Kinder verlieren läßt. Ich denke, dass dies zwar genügt, die Geschichte des erduldeten Grauens vollständig zu erzählen. Als Tätergeschichte, als deutsche Geschichte muss noch etwas hinzukommen. Aber das wäre wohl Gegenstand eines Museums, das noch in Deutschland gebaut werden müßte.
Erhaben und am Ende einen über alles Leid hinausführenden Weg weisend ein Gebet, das die Worte der Vernichtungsläger einflicht.

5 Kommentare:

Nureddin Öztas hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Nureddin Öztas hat gesagt…

Im Angesicht der furchtbaren Katastrophe, den Hitlers Deutsche Reich, Millionen von Juden und anderen Völkern angetan hat, ist jedes Wort zuviel. Als ein Erbe dieser Geschichte, muss man als Deutscher, neben dem Trauer den man aufrichtig an Tag bringen muss, ein wenig weiter denken und zu dem Schluss kommen: So etwas darf niemals, nirgendwo wiederholt werden! Und das Schicksal dieser Menschen darf weder das jüdische Volk, noch andere Völker über sich ergehen lassen müssen. Es ist dabei ganz gleichgültig, wer die Täter sind und wer die Opfer. Es geht lediglich darum, dass kein Volk das Recht hat, ein anderes Volk zu versklaven, zu unterjochen oder auszurotten. Die vernünftigen Menschen, sollten aus der Geschichte die Lehre ziehen und über Nationen, Religionen und Kontinenten hinweg für Frieden, Gleichberechtigung, Demokratie und gegen Terror, Krieg, Genozid oder Rassismus zusammen arbeiten. Will man den Globus in eine Wiege der Liebe und Gerechtigkeit verwandeln, muss dieses Maß für alle gelten und ohne Ausnahme geschehen. Kein Volk sollte das Recht haben, diese Regel zu brechen. Die Allianz der Vernünftigen sollten, bei jedem Missbrauch und gegen egal wen, dieses Recht einfordern dürfen. Tabus dürfte im Namen und Schutz neuer potentieller Opfer, in diesem Thema nicht geben.

Günter Schön hat gesagt…

Leider war ich noch nie in Israel, somit auch nicht in Yad Vashem. Deine Beschreibung aber erinnert mich an das Blokademuseum in der Stadt meiner Sehnsucht Sankt Petersburg. Auch hier kann man fast schmerzhaft spürbar erleben, welche Grausamkeiten in Deutschen Namen begangen worden sind und ich habe mich dafür geschämt. Ich hätte in diesem Moment gerne meine Herkunft und meine Muttersprache verleugnet. Und dann erlebe ich die vorbehaltlose Freundlichkeit Freundschaftlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen, denen in unserem Namen so viel Leid angetan wurde. Was für eine große Geste, was für ein schönes Zeichen....

Unknown hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Unknown hat gesagt…

Wir waren vor (genau?) 40 Jahren dort - mit einer Studiengruppe. Danach war mir der Appetit vergangen (einige hatten Hunger und aßen Falaffel). - Ein Lichtblick war der Vortrag eines israelischen Erziehungswissenschaftlers: Über die Schwierigkeit, den Holocaust zu unterrichten. Er erzählte, dass es fast jedesmal, wenn der Holocaust (der bis heute Lehrstoff ist) unterrichtet wird, folgendes geschehe: Die Schüler meldeten sich etwa mit folgenden Fragen: Warum sind die Juden nicht vorher ausgewandert? Warum haben die Rabbiner sie nicht gewarnt? Warum haben sie sich nicht gewehrt?

Das, so der Vortragende, lenke regelmäßig vom "eigentlichen" Thema ab - und sei auch der "geheime Sinn" der Übung: Etwas in uns weigere sich, "Derartiges" zur Kenntnis zu mehmen und sich damit zu befassen - und deshalb wichen die Schüler so bald und gerne aus. - Es sei aber auch wichtig, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen; nicht nur auf Deutschland und die Deutschen, sondern auf uns Menschen überhaupt: Der Holocaust zeige, wozu Menschen fähig sind - unter bestimmten Vorraussetzungen - und zwar prinzipiell alle Menschen. Weise Worte, die heute bitter nötig sind.