Samstag, 28. Januar 2012

Rabbi Teitelbaum


Das nebenstehende Foto zwier orthodoxen Juden habe ich aus dem Internet. Im Gegensatz zu allen anderen Bildern hier in der Israel-Serie habe ich kein Bild dieser Art selbst aufgenommen, obwohl es Gelegenheiten genug gab, einen der schwarzgekleideten Herren zu fotografieren.  Ich bezeichne sie respektvoll für mich selbst als Rabbi Teitelbaum und würde es nie wagen, das Auge einer Kamera direkt auf sie zu richten. Vermutlich würden Sie nicht einmal etwas dagegen sagen, aber ich möchte die Aura des Besonderen, die sie umgibt, nicht stören.

Sie würden an allen Orten der Welt und nicht nur hier in Jerusalem allein durch die Farben ihrer Kleidung auffallen – die schwarzen Hosen und weißen Hemden, in denen man sie an heißen Tagen sieht, wirken feierlich, weisen den Träger als jemanden aus, der sich zu einem besonderen Anlaß angezogen hat. Die Orthodoxen, die in der Regel auch einen schwarzen Mantel  und einen hohen schwarzen Hut mit breiter Krempe tragen, scheinen zu sagen: unser Leben ist in seiner Gesamtheit ein besonderer Anlaß, deshalb kleiden wir uns immer entsprechend.
Niemals bekommt man Augenkontakt mit ihnen, ihr Blick ist streng nach vorne gerichtet und sagt offenbar: wir sind nicht nicht nur zu einem besonderen Anlaß unterwegs, wir haben auch keine Zeit zu verlieren. Sie gehen immer sehr schnell und zielgerichtet, dabei meist kerzengereade und mit viel "Körperspannung", wie man im Sport sagen würde, sie tragen praktische und gleichzeitig irgendwie amtlich wirkende Umhängetaschen und oft auch einen geschlossenen Regenschirm.

Unerklärlich ist mir, wie sie ihre Hüte am Kopf befestigen, denn diese sitzen in der Regel sehr hoch und sind oft auch extrem geneigt, weshalb sie  hinten entsprechend schmal auf der Kopfhaut aufliegen, oft ergänzt durch die darunter noch halb sichtbare Kippa, welche die Konstruktion irgendwie, man weiß es nicht, zu halten scheint. Gestern sah ich sie zum Beginn des Sabbats zur Klagemauer kommen, in strömendem Regen, gegen den sie ihre Hüte entweder mit Plastiküberzügen schützten oder – feiner noch – mit riesigen  Kapuzen, welche die Hüte mit einschlossen. Diese wirkten wie maßgeschneidert.
Ob sie einem Beruf nachgehen? Oft haben sie ihr Handy am Ohr, was aber auch für den Rest der Bevölkerung gilt, etwa 50% Dauertelefonierer schätze ich hier. Sie gehen daher wie Notare, Wirtschaftsprüfer oder Kunsthändler, aber da viele Orthodoxe keinen Wehrdienst leisten wollen und ohne diesen zu vielen Berufen nicht zugelassen sind, wird es auch viele unter ihnen geben, die auf Staatskosten leben. Bei denen ist aber dann natürlich vollkommen unklar, warum sie so schnell und zielstrebig gehen.
Immer wieder fällt mir bei ihrem Anblick eine Geschichte von Isaac B. Singer ein. Darin entdeckt ein liberaler New Yorker Jude seinen Glauben wieder und beschließt, in Israel ein neues, frommes Leben zu beginnen. Auf dem Nachtflug nach Rom erliegt er der Versuchung, sich mit der neben ihm sitzenden fremden Frau auf ein erotisches Abenteuer einzulassen. Unter Wolldecken und im Schutze der Nacht kommt es zu ungeschickten und unbefriedigenden sexuellen Handlungen, und als der Morgen graut, wird dem Juden das ganze frustrierende Ausmaß seines Versagens klar. Gerade in diesem Moment kommt ein weiterer Jude den Gang entlang – anders als der erste an seiner Kleidung und seiner Kippa klar als frommer Jude zu erkennen.

Dem zerknirschten Sünder wird klar: nur mit den äußeren Zeichen der Frömmigkeit kann ein frommes Leben gelingen. Ihm geht der Sinn eines Bibelwortes auf, in dem es heißt, die Juden sollten sich sogar die Schuhe anders schnüren als die von den Nationen, damit sie unterschieden sind und ein heiliges Volk dem Herrn.

Heilig heißt "ausgesondert" und manchmal wohl auch "sonderbar".

2 Kommentare:

Nureddin Öztas hat gesagt…

Ein ähnliches Straßenbild habe ich in Brüssel und in New York gesehen. Das Bild kannte ich bis Dato sonst aus Filmen oder Reportagen. Es war eindrucksvoll und zugleich etwas befremdlich für mich. Eindrucksvoll, weil diese Menschen ihre Religion ganz offensichtlich und unbekümmert ausleben. Etwa wie die Turbantragenden Sikhs oder die Schleiertragende Muslima. Sie alle haben meinen Respekt, weil sie auch viel Unverständnis, Intoleranz, sogar Ausgrenzung erleben. Befremdlich, weil ich mich nicht damit identifizieren kann. Ich genieße es äußerlich der Mehrheit anzugehören und innerlich einen Verbund mit Gott einzugehen. Zu besonderen Anlässen, trage ich gerne auch sichtbare Zeichen meines Glaubens, jedoch bleibt das eher Ausnahme. Ich trage in mir die Sorge, den Glauben durch lebenslange strenge äußerliche Regel, auf das nebensächliche zu reduzieren oder andere abzuschrecken. Wichtiger erscheinen mir die inneren, elementaren, moralischen Werte.
Ich weiß als Muslim, dass es kein heiliges Volk Gottes gibt, sondern ein auserwähltes. Auserwählt kann heilig sein, muss es aber nicht. Auserwählt kann auch der sein, der zur besonderen Form der Gnade Gottes bedürftig ist. Eine Sonderbehandlung hat immer eine Doppelbedeutung.

Christian Runkel hat gesagt…

Ja, Nureddin, ich sehe es ganz ähnlich und möchte auch nicht gerne mit äußeren Zeichen des Glaubens herumlaufen. Aber der Respekt vor diesen Zeichen-Leuten - ob mit Turban, Kippa, Kopftuch oder Nonnentracht - den haben wir trotzdem. Und mit unseren nur manchmal sichtbaren Zeichen wie etwa der Ablehnung von Schweinefleisch (bei Dir) und der Sonntagsheiligung (bei mir) wollen wir ja ebenfalls dezente Zeichen setzen, dass wir einer höheren Instanz verpflichtet sind.