Montag, 29. Oktober 2012

Von der Seligkeit der Quinten und (später) auch der Terzen


Jeder, der einmal ein paar Akkorde herauszufinden versucht hat, um auf dem Klavier ein einfaches Lied begleiten zu können, ist auf die Akkordfolge C – F – G gestoßen, mit der man die meisten Lieder harmonisch unterlegen kann, wenn sie nicht allzu kompliziert gemacht sind. Diese Folge lebt von dem Fünftonschritt von  G-Dur hinunter nach C-Dur und zurück, einer Quinte also, die eine Bewegung dem Ein- und Ausatmen vergleichbar erzeugt. Dabei atmet  der G-Dreiklang ein, baut eine Spannung auf und leitet sie hinüber in die Auflösung im C-Dreiklang, dem Ausatmen. Auch das F-Dur macht von C-Dur aus gesehen einen Fünftonschritt, allerdings in umgekehrter Richtung, von F hinauf nach C.

Samstag, 27. Oktober 2012

Facebook ist eine Suchmaschine!



 
Dass Facebook eine Suchmaschine ist, habe ich bereits vor längerer Zeit in einem Artikel im Internet gelesen. Mir war der Grundgedanke sogleich sympathisch: wir lösen das Problem, uns aus dem gewaltigen Strom an Informationen täglich das Wichtigste herausfischen zu müssen, indem wir uns das ansehen, was unsere Freunde bereits herausgefischt haben. So wird Facebook wie Google zu einer Suchmaschine, die sich von Google nur dadurch unterscheidet, dass nicht wir, sondern unsere Freunde den Suchfilter bestimmen.

Ich habe danach dann Facebook auch mit dieser Zielsetzung gebraucht und bin immer wieder mit der Erwartung auf meine Facebook-Seiten gegangen, dass mir meine vielen Freunde dort Dinge berichten, die mich weiterbringen. Rückblickend ist dies auch vielfach gelungen, das Ergebnis könnte aber besser sein.


Mittwoch, 17. Oktober 2012

Kaukasier


Imam Schamil
In den USA heißen die Schwarzen bekanntlich African Americans, das ist die politisch korrekte Bezeichnung, wie allgemein bekannt ist. Weniger bekannt ist, dass die Weißen europäischen Ursprungs Caucasian Americans genannt werden, für uns hier vielleicht ein etwas verwirrender Gedanke, denn wir leiten unsere Herkunft aus allen möglichen Gegenden ab, nur nicht aus dem Kaukasus.
Vielleicht ist das falsch, vielleicht ist es sogar ein wenig verlockend, unsere genetische Heimat in diesem gebirgigen Reich ganz am Rande Europas, mit seiner Vielzahl an Völkern und Stämmen zu suchen.  Ich fand eine wichtige Spur dorthin jetzt, ein paar Tage nach meiner Reise in die Türkei, und zwar nach langer und eher planloser Suche.



Dienstag, 16. Oktober 2012

Ich, der Türke

Remscheid, 16. Oktober 2012
 
Beim Bummeln durch türkische Städte versuche ich je länger, desto mehr mich den Einheimischen anzugleichen und mich nicht mehr so deutsch zu geben wie früher einmal. Das erscheint mir besonders deshalb relativ einfach zu sein, weil meine fast vollkommen ergrauten Haare ja auch einem ehemals schwarzhaarigen Menschen gehört haben könnten und weil ein kleiner dunkler Rucksack wie meiner, in dem ich alle meine Sachen, auch die Kamera, verstaue, hier auch von vielen anderen Leuten, besonders den jungen, getragen wird. Wie ein Chamäleon vermeide ich es beim schlendernden Gang durch die Städte, als ein gewöhnlicher Tourist staunend vor den obligatorischen Sehenswürdigkeiten zu stehen und nach oben zu blicken, flaniere statt dessen lieber am Zeitungsstand vorbei und prüfe die Überschriften (obwohl ich sie nach wie vor kaum übersetzen kann), schwätze ein paar Worte mit dem Verkäufer für Sesamkringel und setze mich wortlos zu den alten Männern ins Teehaus.

Montag, 15. Oktober 2012

Stadt und Land


Terziali. 14. Oktober 2012
Riza und ich
In Schwiegervater Rizas Gesprächen kommen die Worte "Stadt" und "Land" selten vor. Anders als bei deutschen Bauern, bei denen ich oft das Gefühl hatte, sie würden in mir, dem Städter eine besondere Kategorie von Menschen sehen und deshalb genau beobachten, wie ich ins Brot beiße oder mir die Schuhe zubinde, scheint Riza der Unterschied zwischen den beiden Lebensformen vollkommen gleichgültig zu sein. Natürlich kennt er sie, seine acht Kinder wohnen alle nicht mehr im Dorf, sondern in der nahen Kleinstadt Çayağsı oder in der 100.000-Einwohner-Stadt Kırşehir, andere wohnen noch in Ankara, Izmir, Holland oder Deutschland. Er besucht sie manchmal, hat das eine oder andere am Leben dort auszusetzen, erkennt aber ihre Lebensformen an und macht seinem Schwiegersohn Necattin auf ungewöhnlich weitsichtige Art klar, warum dieser in Deutschland mehr gebraucht wird als in der Türkei und warum er deshalb die speziellen Herausforderungen seiner neuen Heimat mutig und mit der Hilfe guter Freunde annehmen soll.


Samstag, 13. Oktober 2012

Ein kleines Dorf mit einer Moschee


Kırşehir, 13. Oktober 2012

In dem Dorf Terziali in den Baran-Bergen oberhalb von Kırşehir gibt es weder Handyempfang noch Internet. Ich kann der Welt nichts mitteilen, bekomme aber über den Fernseher im Wohnzimmer beständig Nachrichten zugesandt, das ist eine einseitige Sache! Aber ich bin ja wegen der Natur hier, der weiten Räume und der frischen Luft, der guten Dinge auf dem Tisch und vor allem wegen der freundlichen Menschen aus Necattins Familie.



Donnerstag, 11. Oktober 2012

Ein Haus für Necattin Baba

 
Izmir, 10. Oktober 2012

Mein Freund Necattin wird im Kreis seiner Familie Necdet gerufen. Das macht es einfacher, ihn von seinem Vater zu unterscheiden, der genauso heißt und der sich hier in Izmir ein großes Haus gebaut hat, mit schönem Blick hinunter auf die tief ins Land reichende blaue Ägäis-Bucht, an deren östlichem Ende Izmir liegt. Kreuzfahrtschiffe fahren in den Hafen und liegen dort am Pier, Fähren verbinden die Stadtviertel südlich und nördlich der Fjord-ähnlichen Bucht. Es gibt immer etwas zu sehen, und am Abend leuchten die Lichter der Vier-Millionen-Stadt zu Necattin Babas Haus herauf. Man kann sich stundenlang auf der Dachterrasse aufhalten, so wie ich gerade, und den milden Wind vom Meer und die Aussicht genießen.




Mittwoch, 10. Oktober 2012

Der Baumeister


Istanbul, 9. September 2012


Prinz-Mehmet-Moschee

In der Prinz-Mehmet-Moschee, die Süleyman der Prächtige für seinen mit 22 Jahren verstorbenen Sohn bauen ließ, hat der berühmteste Architekt der Türkei, der Baumeister (Mimar) Sinan ein Prinzip angewandt, das ich heute für mich selbst entdeckt habe. Ich habe bisher noch keinen Hinweis darauf in einem Reiseführer gefunden, aber ich glaube, dass ich etwas Richtiges gesehen habe: Sinan lässt Säulen verschwinden.

Montag, 8. Oktober 2012

Alt und neu

Istanbul, 8. Oktober 2012
Heute bin ich erstmals in einem modernen türkischen Einkaufszentrum gewesen. Es war das Sapphire, das die unteren drei Geschosse des derzeit höchsten Wolkenkratzers in Istanbul einnimmt. Mich hat das Zentrum eigentlich weniger interessiert, es enthält Läden wie man sie auch in den entsprechenden Zentren von Düsseldorf, Hamburg oder Berlin oder sonstwo in der Welt findet. Aber ich war froh, einmal der touristischen Scheinwelt des Großen Basars in der Altstadt entkommen zu sein, in dem ich mich immer unwohl gefühlt habe, so lange ich Istanbul kenne. Er gehört zum touristischen Muss, dem sich auch meine Reisegruppe nicht entziehen wollte, aber ich glaube nicht, dass es vernünftige Einheimische gibt, die sich aus den Vororten auf den Weg machen, um dieses von der Zeit überholte Ungetüm zu besuchen, das auf die uralte Weise Waren und Käufer einander vermittelt.

Sonntag, 7. Oktober 2012

Ehrfurcht vor dem Bau der Heiligen Weisheit


Istanbul, 6. Oktober 2012
Die Hagia Sophia ist das älteste, noch vollkommen erhaltene und funktionsfähige Gebäude, das ich kenne. Würden man die 2.000 Jahre unserer Zeitrechnung als einen tiefen Schacht ansehen, in den ein Aufzug hinunter fährt, so käme man bei einem Viertel der Fahrt bei Martin Luther an, nach vier Zehnteln der Fahrstrecke beim Kölner Dom und müsste fast noch einmal die gleiche Strecke fahren, um bei der Hagia Sophia zu landen, die im Jahr 532 begonnen wurde.



Freitag, 5. Oktober 2012

Eroberungen und ihre Folgen

Remscheid, 5. Oktober 2012
Von unserem Hotel "Pierre Loti" am westlichen Ende des Goldenen Horns* werden wir morgen früh einen weiten Blick auf das Schlachtfeld des Krieges haben, der für viele Historiker die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit markiert hat: der Feldzug zur Eroberung von Konstantinopel. Er wurde am 29. Mai 1453 mit der Einnahme der Stadt durch den osmanischen Sultan Mehmet II. beendet. Der Eroberer hat man ihn von da an genannt, Fatih auf Türkisch. Konstantinopel bestand zu der damaligen Zeit aus dem wuchtigen Dreieck der heutigen Altstadt, das von zwei Seiten nur per Schiff anzugreifen war. Lediglich die Westseite konnte man über Land erreichen und belagern.



Mittwoch, 3. Oktober 2012

Der Reiseschriftsteller


Aus einer Werbung für Tropenhelme
Immer wenn ich auf Reisen gehe, meldet sich ein kleines eisgraues Männlein bei mir und fragt mich, ob es mitfahren darf. Natürlich darf es, denn es ist mein zweites Selbst, der Reiseschriftsteller in mir. Alle meine letzten Reisen wurden durch seine Anwesenheit interessanter gemacht, das Männlein hat mich beständig daran erinnert, mir einzelne Szenen genau zu merken, mir Namen und Worte aufzuschreiben, präzise zu fotografieren und vor allen Dingen zu Hause fleißig zu recherchieren. Ich finde: das Reisen wird eigentlich erst durch die Schriftstellerei schön. Ohne sie ist es oft nicht viel mehr als ein bedrohliches Wagnis.


Montag, 1. Oktober 2012

Melancholie, französisch und türkisch


Julien Viaud
Nirgendwo sonst konnte der französische Marineoffizier Julien Viaud (1850 – 1923) seinen schwermütigen Gedanken vom Verfall und vom Ende der Dinge besser nachhängen als auf einem Hügel vor der Stadtmauer des alten Istanbul. Er war aus Frankreich mit der dunklen Melancholie des fin de siècle infiziert mit dem Schiff nach Istanbul gekommen und fand im Reich der Sultane, deren Herrschaft nach vierhundertjähriger Dauer für alle spürbar ihrem traurigen Ende entgegen ging, einen Menschenschlag, der offenbar in ähnlich gedämpften Farben empfand wie er. Viele Jahre später hat Orhan Pamuk die spezielle tristesse Istanbuls beschrieben, die hier hüzün heißt und für Pamuk auch heute noch einen Teil des Charakters der Stadt am Bosporus ausmacht.