Jeder, der
einmal ein paar Akkorde herauszufinden versucht hat, um auf dem Klavier ein
einfaches Lied begleiten zu können, ist auf die Akkordfolge C – F – G gestoßen,
mit der man die meisten Lieder harmonisch unterlegen kann, wenn sie nicht allzu
kompliziert gemacht sind. Diese Folge lebt von dem Fünftonschritt von G-Dur hinunter nach C-Dur und zurück, einer
Quinte also, die eine Bewegung dem Ein- und Ausatmen vergleichbar erzeugt. Dabei
atmet der G-Dreiklang ein, baut eine
Spannung auf und leitet sie hinüber in die Auflösung im C-Dreiklang, dem
Ausatmen. Auch das F-Dur macht von C-Dur aus gesehen einen Fünftonschritt,
allerdings in umgekehrter Richtung, von F hinauf nach C.
Schon in den drei einfachen Anfangsakkorden steckt also ein „Quintenzirkel“, und der macht einen großen Teil der harmonischen Seligkeiten der europäischen Musik aus, er verleiht ihr sozusagen das lebensspendende Ein- und Ausatmen. Es ist deshalb nur natürlich, dass auch der Jazz sich der Quinten bedient, in leicht abgewandter Form mit dem Ersatz des F-Dur durch das ähnlich klingende d-moll und dem entsprechenden Zirkel d – G – C.
Die Jazzmusiker haben das alte System aber in zweierlei Weise verändert. Zunächst haben sie die Akkorde auf den gewöhnlichen Tönen der Noten 1, 3 und 5, die den alten Dreiklang ausmachen, um Töne auf den Stufen 7, 9, 11 und 13 erweitert. Das war nicht ganz neu, denn Stufe 7 gehörte als „Septimakkord“ eigentlich immer schon zum neuzeitlichen Repertoire. Neu war die Hinzunahme besonders von Stufe 11 und 13* und dann das freie Schweben der erweiterten Mehrklänge in den Obertönen des Bereichs über dem eigentlichen Dreiklang. In diesem oberen Bereich entstanden neue, abweichende Drei- oder Mehrklänge und bildeten upper structures. Sie klangen oft sehr neu und manchmal dissonant, fanden sich aber, oft zum Erstaunen der Zuhörer, immer in dem alten System der unteren Akkorde, einer Art Wurzel wieder, und die bestand meistens aus d – G – C, oder allgemein gesagt aus Zwei – Fünf – Eins.
Die Zwei –
Fünf – Eins (II –V – I), wie sie die Jazzmusikerer spielen, vereinigt (das habe ich bei
Roman Wasserfuhr gelernt) drei Urtypen von Akkorden, den moll-Akkord (d, bzw.
II), den Dur-Akkord (C, bzw. I) und den Septimakkord (G, bzw. V). Sie bilden mit
ihren upper structures eine fast unerschöpfliche Quelle an musikalischen
Variationen, die allesamt durch den Quintenzirkel sozusagen wurzelmäßig
zusammengehalten werden und dadurch einem an diesen Zirkel gewöhnten Westeuropäer
auch über Dissonanzen hinweg verständlich bleiben.
Die Jazzer haben in einem zweiten Schritt nach neuen Wegen gesucht, den alten Quintenzirkel
aufzubrechen. Sie haben dabei allerdings nach meinem Eindruck den Vorteil nicht
aufgeben wollen, den die innere Logik dieses Zirkels ihnen anbot und haben
deshalb den roten Faden behalten, den ein Zuhörer jederzeit entlang der
harmonischen Variationen nachverfolgen kann, solange der Quintenzirkel zu hören
bleibt.
Eine
Möglichkeit hierzu, die ich erst vor kurzer Zeit entdeckt habe, ist der
Terzenzirkel des Saxophonisten John Coltrane (1926 – 1967). Im Prinzip ersetzt
er d – G – C mit seinen Quinten durch den geschlossenen Zirkel von
Terzen C – E – As – C, füllt dabei aber die Lücken der dissonant und unverbunden klingenden
Akkorde wieder durch alte Zwei – Fünf – Eins – Klänge auf. Das Prinzip ist
einfach: jeder der drei Grundakkorde E, As oder C wird jeweils als Eins angesehen,
sodann werden die Zwei und die Fünf dem Akkord vorangestellt, so dass dieser
wieder aus einem alten und gewohnten System heraus erklingt:
II
- V - I
in Richtung
E: fis – H – Ein Richtung As: b – Es – As
in Richtung C: d – G – C
Damit das
gleich folgende Musikbeispiel der Giant Steps von Coltrane nachvollziehbar
ist, übertrage ich das obige Beispiel nach Es-Dur und füge anschließend die
Noten** bei. Der Terzenzirkel ist jetzt Es – G – H – Es
II
- V - I
in Richtung G: a – D – Gin Richtung H: cis – Fis – H
in Richtung Es: f – B – Es
Noten:
Ein Musikbeispiel als "Play Along" zum Üben:
Oder in einer Klavierstunde mit dem wunderbaren Pianisten Chick Corea:
* mehr als 13 geht nicht, die Stufe 15 entspricht wieder dem Grundton auf Stufe 1
** in Jazz-Schreibweise: das H wird als „B“ geschrieben, das B als „Bb“, a-moll ist „A-“
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