Istanbul, 8. Oktober 2012
Heute bin ich erstmals in einem modernen türkischen
Einkaufszentrum gewesen. Es war das Sapphire, das die unteren drei Geschosse
des derzeit höchsten Wolkenkratzers in Istanbul einnimmt. Mich hat das Zentrum
eigentlich weniger interessiert, es enthält Läden wie man sie auch in den entsprechenden
Zentren von Düsseldorf, Hamburg oder Berlin oder sonstwo in der Welt findet.
Aber ich war froh, einmal der touristischen Scheinwelt des Großen Basars in der
Altstadt entkommen zu sein, in dem ich mich immer unwohl gefühlt habe, so lange
ich Istanbul kenne. Er gehört zum touristischen Muss, dem sich auch meine Reisegruppe
nicht entziehen wollte, aber ich glaube nicht, dass es vernünftige Einheimische
gibt, die sich aus den Vororten auf den Weg machen, um dieses von der Zeit
überholte Ungetüm zu besuchen, das auf die uralte Weise Waren und Käufer einander
vermittelt.
Allein schon das Feilschen um den Preis hat mich immer gestört, und ich kann
heute auch präzise sagen, warum. Dieser Akt des Verhandelns muss ja bezahlt werden,
der Verkäufer stellt mir seine Zeit zur Verfügung und verlangt einen gehörigen
Aufschlag auf seine Ware dafür, dass er das tut. Die
Ermittlung eines Preises kostet wertvolle Zeit und damit Geld. Aber nicht nur das. Der
im Basar auf Kundschaft lungernde Verkäufer steht stundenlang wie der Angler am
Fluß vor seinem Ladengeschäft und betrachtet untätig den Strom der Fische, von
denen einer ich bin. Auch diese Zeit, in der er überwiegend mit leerem Blick vor
sich hin starrt, will er bezahlt haben.
Ich beobachte die sorgfältig gekleideten, seriös und klug
aussehenden Herren vor ihren Geschäften und möchte sie manchmal anfahren und
ihnen sagen, „Warum geht ihr nicht einfach arbeiten?“ Dabei meine ich mit
Arbeit die Tätigkeit der zwei oder drei Leute der Aldi-Filiale in meiner
Remscheider Nachbarschaft, die sich das Einräumen der Regale und das Bedienen
der Kasse teilen. Sie stehen nicht herum, sie sind zu jeder Zeit sinnvoll
beschäftigt, und sie verschaffen mir am Ende meine Ware zu einem Preis, von dem
ich sicher bin, dass er in der Relation sehr viel günstiger ist als das im
Basar heruntergehandelte Schnäppchen.
Die Leute von Aldi sind die neue Welt, und ich kann mir vorstellen,
wie diese neue Welt längst in den Supermärkten am Stadtrand Einzug gehalten hat,
bei Carrefour, bei Migros und auch bei dem, was von Deutschland in die Türkei herüberkommt.
Die alte Welt wird es in ein paar Jahren nicht mehr geben, und ich werde ihr
keine Träne nachweinen.
1 Kommentar:
Touristischen Scheinwelt des Großen Basars: Wenn es eine Inszenierung für die Touristen ist, arbeiten die Händler womöglich gar nicht als Händler, sondern als Schauspieler. Die sorgfältig gekleideten Herren scheinen ja auf ihre Kosten zu kommen.
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