Terziali. 14. Oktober 2012
Riza und ich |
Sein
ländliches Geschäft empfindet er offenbar nicht als veraltet, im Gegenteil. Mit Kindern und Enkeln
baut er die Viehzucht aus, plant ein Ladengeschäft, mit erstklassigem Fleisch
(das Thema "organic food" braucht er nicht anzugehen, alles was er
macht ist "Bio", das ist klar, und darüber verliert er kaum Worte) und hat mit den
Schwiegersöhnen, die ihm seine allesamt hübschen sechs Töchter ins Haus gebracht
haben, vielfach gute Geschäftspartner ins Boot geholt.
Dass seine
deutschen Enkel Scheu haben, auf sein altes Stehklo zu gehen, entlockt ihm kein
kritisches Wort. Er ist ohne viel Aufhebens zu machen auf ihre Wünsche eingegangen, hat sein Haus ein wenig umgebaut und iin einem kleinen Anbau ein westliches WC und eine solargetriebener Dusche installiert. Bitte sehr, bedient
euch, scheint er zu sagen.
Als ich mich
zu einem kleinen Mittagsschlaf auf sein Sofa lege, finde ich eine geladene
Baretta-Pistole unter dem Sofa-Kissen. Allah möge verhüten, dass er sie je
benutzen muss, sagt Riza, aber sicher ist man nie. Auch eine Schrotflinte hat er,
und wenn ich beim nächsten Mal etwas länger bleibe, geht er mit mir in die
Berge, um Hasen und Rebhühner zu schießen. Auch Wölfe gibt es in der Gegend,
scheue Tiere, vor denen man sich nicht fürchten müsse. Leider stehlen sie ihm
immer wieder mal ein Schaf, aber Schwiegersohn Ramazan, der Hirte, wacht in
einer in den Bergen gelegenen Stallung auch nachts über die Tiere. Er kommt oft
tagelang nicht zu seiner Familie unten in der Kleinstadt, wo seine Kinder derweil am PC sitzen und Facebook-Freundschaften in der ganzen Welt pflegen.
Riza sagt, dass ein
hür adam, ein freier Mensch ist, und er redet frei und fest und
wird im Dorf und in der Verwandtschaft mit seinem Rat gerne gehört.
Nach
Deutschland will er nur noch ungern. Dort habe er sich ohne Beherrschung der
Sprache wie eingesperrt gefühlt und wäre einmal fast draußen erfroren, nachdem
ihm ein Windstoß die Haustür zugeschlagen hatte und er niemandem seine hilflose
Situation erklären konnte. Sieben Tage ohne einen einzigen Blick auf die Sonne
haben ihn beten lassen "Allah, bist du überhaupt noch da?"
Nächstes
Jahr wird er sich entscheiden müssen, da heiratet ein weiterer deutscher Enkel,
und der besteht auf der Anwesenheit seines Dede. Vermutlich wird er seine Reise diesmal besser organisieren, ein Handy besorgen und seine Enkel zum Dolmetschen verpflichten. Den Bauern in der Stadt wie man ihn in alten Filmen stereotyp gezeigt hat, wird er nicht spielen wollen.
Dabei könnte Riza mit seinem Mario-Adorf-Gesicht durchaus in einem Film auftreten. Amerikaner beneiden uns Europäer um die charaktervollen Gesichter alter Italiener oder Griechen. Riza hat ein solches Gesicht. Das Leben in der neuen städtischen Welt dagegen glättet die Gesichter, vereinheitlicht sie vielleicht sogar ein wenig. Hier unter den freien Menschen in der Bergluft Zentralanatoliens werden die Züge markanter und wirken auf uns wie Boten aus einer für uns längst vergangenen Zeit. Das Land hat sein eigenes, älteres Recht als die Stadt, die alles aufsaugen und gleichmachen will. Es wird dieses Recht nie verlieren.
Alte Männer vor der Cacabey-Moschee in Kirsehir |
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