Aus einer Werbung für Tropenhelme |
Immer wenn ich auf Reisen gehe, meldet sich ein kleines
eisgraues Männlein bei mir und fragt mich, ob es mitfahren darf. Natürlich darf es, denn
es ist mein zweites Selbst, der Reiseschriftsteller in mir. Alle meine letzten Reisen wurden durch seine Anwesenheit interessanter gemacht, das Männlein hat mich beständig daran erinnert,
mir einzelne Szenen genau zu merken, mir Namen und Worte aufzuschreiben, präzise
zu fotografieren und vor allen Dingen zu Hause fleißig zu recherchieren. Ich finde: das Reisen wird eigentlich erst durch die Schriftstellerei schön. Ohne sie ist es oft nicht viel mehr als ein bedrohliches Wagnis.
Solange mein großer Roman ungeschrieben bleibt, dessen erste Seiten nicht nur ich, sondern laut Ernst
Jünger alle Menschen im Nachttisch liegen haben, solange müssen die
kleinen Notizen im Blog und in Facebook als Ersatz herhalten, damit der Drang, meinen inneren Bewegungen Ausdruck zu
verleihen, ein wenig Raum bekommt. Zu Hilfe kommt mir dabei, dass alles das, was den Roman des Lebens so schwierig
und unvollendbar macht, der fehlende rote Faden nämlich, auf den die einzelnen Begebenheiten aufzureihen wären, sich bei einer Reise
fast von selbst einfindet. Sie hat ja einen klaren Anfang und ein klares Ende, ein erstens-zweitens-drittens, ein Ziel und einen eindeutigen Sinn.
Und wenn man außerdem, Marcel Proust folgend, das Ideal des
Schreibens in der immer wieder neu zu findenden Verbindung einer guten Beobachtung
mit einer dazu passenden aber stark kontrastierenden Assoziation sieht, dann ist
die Reise der ideale Schreibe-Anlass schlechthin. Sie
liefert nämlich einerseits die Möglichkeit zur Beobachtung und erzeugt
dabei gleichzeitig den damit zu verbindenden Gedanken oft ganz von
selbst. Die Fremdheit der beobachtenden Person am fremden Ort ist ein erster, wichtiger Kontrastfaktor,
ihr eigenes Erleben ein zweiter.
Ein Beispiel: Proust hat den dicken alten Kirchturm von
Illiers sehr genau und liebevoll beschrieben und dann den Gedanken angefügt, wie der sich wohl
verhielte, wenn er ein Klavierspieler wäre. Das ist ein solcher Proust-Blitz,
der aus dem Kontrast entsteht. Der Reiseschriftsteller kann ihn mit einfachen
Mitteln ebenfalls erzeugen, indem er etwa die Schlachtfelder von Waterloo beschreibt und
dabei seine eigenen hämorrhoidalen Schmerzen erwähnt, von denen er gelesen hat,
dass Napoleon sie in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 1815 am selben Ort in gleicher Weise durchlitten
hat. Vielleicht ist das ein schlechtes Beispiel, aber ich bin ja auch kein
Proust.
Nein, ich bin kein Proust, natürlich nicht, aber niemals erscheint
mir die Möglichkeit, zumindest in eine ehrfurchtsvolle Nähe zu
den berühmten Vorbildern zu kommen, so nahe zu sein, wie wenn man ein Reisetagebuch zu führen
beginnt, so wie sie. Ich denke an W. G. Sebalds Wanderungen, V. S. Naipauls Reisen,
die Tagebücher des bereits erwähnten Ernst Jünger, und – ja – auch an Goethes
italienische Reise, die auch nicht durchgängig auf dem Niveau von Faust II
geschrieben ist.
Da will ich hin, oder sagen wir: wenn das Bundesliga ist,
dann will ich zumindest Regionalliga spielen. Und um das zu erreichen, habe ich besonders von Sebald die Technik
übernommen, der Spur einer einzelnen Person nachzugehen, die sich am Ort der Reise ebenfalls einmal aufgehalten hat. Hier setzt dann die Recherche am heimatlichen Schreibtisch an, bei welcher der moderne Reiseschriftsteller vornehmlich auf Wikipedia angewiesen ist. Ich nenne
als bescheidenes Beispiel meine Geschichte des Obersten Yorck, von dem ich in
einem Mecklenburger Wald ein kleines Denkmal fand, um das herum ich eine kleine
Betrachtung aufgebaut habe.
Wenn man die Reise rechtzeitig plant, kann man solche
Geschichten bereits zu Hause vorbereiten und muss sie vor Ort nur um das
Proustsche Moment des eigenen Reise-Erlebnisses ergänzen. So kann man reisen,
ohne dabei viel Erlebniszeit durch Schreibezeit zu verlieren. Denkbar wäre bei einer weiteren Verfeinerung der Technik sogar, ganz auf das Reisen zu verzichten und nur noch aus Recherchen heraus zu schreiben. Dann käme das eisgraue Männlein also eines Tages zu mir und fragte mich: "Willst du mit?" Und ich würde ihm antworten: "Fahre du schonmal alleine voraus!"
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