Dienstag, 16. Oktober 2012

Ich, der Türke

Remscheid, 16. Oktober 2012
 
Beim Bummeln durch türkische Städte versuche ich je länger, desto mehr mich den Einheimischen anzugleichen und mich nicht mehr so deutsch zu geben wie früher einmal. Das erscheint mir besonders deshalb relativ einfach zu sein, weil meine fast vollkommen ergrauten Haare ja auch einem ehemals schwarzhaarigen Menschen gehört haben könnten und weil ein kleiner dunkler Rucksack wie meiner, in dem ich alle meine Sachen, auch die Kamera, verstaue, hier auch von vielen anderen Leuten, besonders den jungen, getragen wird. Wie ein Chamäleon vermeide ich es beim schlendernden Gang durch die Städte, als ein gewöhnlicher Tourist staunend vor den obligatorischen Sehenswürdigkeiten zu stehen und nach oben zu blicken, flaniere statt dessen lieber am Zeitungsstand vorbei und prüfe die Überschriften (obwohl ich sie nach wie vor kaum übersetzen kann), schwätze ein paar Worte mit dem Verkäufer für Sesamkringel und setze mich wortlos zu den alten Männern ins Teehaus.

Vorigen Mittwoch, beim Bummel durch die Altstadt von Izmir kam es zu einem vorläufigen Höhepunkt dieser Angleichung - und gleichzeitig zu einem tiefen Scheitern. Ich war in der mir eigenen entspannten, ja achtlosen Haltung über die Straße gegangen und hatte dabei einen Mercedes-Fahrer bewusst übersehen, der mit etwas Mühe aus einer Einfahrt auf die Straße heraus fahren wollte. Ein wenig provozierend langsam ging ich vor seinem Auto her, während er schrittweise versuchte, voran zu kommen. Als ich knapp an ihm vorbei war, kam es zur entscheidenden Begegnung. Er fuhr los - und stieß mit seinem rechten, scharf eingeschlagenen Vorderrad gegen meinen Unterschenkel. Das war überraschend und ein wenig schmerzhaft aber ansonsten ungefährlich.
Die Verletzung meiner körperlichen Unversehrtheit konnte ich als Sohn des Mittelmeerraumes natürlich nicht auf mir sitzen lassen. Hart und mit grässlich wutverzerrtem Gesicht schlug ich mit der Faust auf die Windschutzscheibe des Mercedes. Wie ein Blitz war mir diese Aktion eingegeben worden, und meine ganze Haltung entsprach dabei gänzlich dem, was ich mir unter einem wütenden Türken vorstellte. Innerlich war ich dagegen vollkommen ruhig und sogar ein wenig heiter.
Die Gebärde gelang in vollkommener Weise. Der Mann duckte sich hinter seinem Lenkrad und machte eine deutlich entschuldigende Bewegung. Diese übersah ich indigniert und ging, jetzt etwas eiliger, zu meinem Freund Necattin, der sich einige Schritte vor mir befand, und erzählte ihm voller Stolz von meiner mit mediterraner Verve vorgetragenen Aktion. Danach schlenderte ich mit stolzer Brust weiter durch die engen Gassen der Altstadt von Izmir. Türkischer wie ich konnte sich kein Türke benommen haben.
Nur wenige Minuten später merkte ich dann allerdings, dass ich die Aktion teuer bezahlt hatte. Mein Mittelfinger schmerzte stark und lief blau an. Reue kam in mir auf. Tief drinnen sagte mir eine Stimme, dass ich es wohl doch niemals zu einem Menschen des Mittelmeerraums mit den starken Affekten, die zu einem solchen Charakter gehören, bringen würde.
Robert Gernhardt kam mir in den Sinn, der in Italien ähnliches durchlebt haben muss und es in sein klassisches Gedicht gegossen hat, das mit den Worten beginnt
Italiener sein, verflucht! -
Ich hab es oft und oft versucht,
es geht nicht.

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