Beim Bummeln
durch türkische Städte versuche ich je länger, desto mehr mich den Einheimischen anzugleichen und mich nicht mehr so deutsch zu geben wie früher einmal.
Das erscheint mir besonders deshalb relativ einfach zu sein, weil meine fast
vollkommen ergrauten Haare ja auch einem ehemals schwarzhaarigen Menschen
gehört haben könnten und weil ein kleiner dunkler Rucksack wie meiner, in dem
ich alle meine Sachen, auch die Kamera, verstaue, hier auch von vielen anderen
Leuten, besonders den jungen, getragen wird. Wie ein Chamäleon vermeide ich es beim
schlendernden Gang durch die Städte, als ein gewöhnlicher Tourist staunend vor
den obligatorischen Sehenswürdigkeiten zu stehen und nach oben zu blicken,
flaniere statt dessen lieber am Zeitungsstand vorbei und prüfe die Überschriften (obwohl ich
sie nach wie vor kaum übersetzen kann), schwätze ein paar Worte mit dem
Verkäufer für Sesamkringel und setze mich wortlos zu den alten Männern ins Teehaus.
Vorigen
Mittwoch, beim Bummel durch die Altstadt von Izmir kam es zu einem vorläufigen
Höhepunkt dieser Angleichung - und gleichzeitig zu einem tiefen Scheitern. Ich
war in der mir eigenen entspannten, ja achtlosen Haltung über die Straße
gegangen und hatte dabei einen Mercedes-Fahrer bewusst übersehen, der mit etwas
Mühe aus einer Einfahrt auf die Straße heraus fahren wollte. Ein wenig provozierend langsam
ging ich vor seinem Auto her, während er schrittweise versuchte, voran zu kommen. Als ich knapp an ihm vorbei war, kam es zur entscheidenden Begegnung.
Er fuhr los - und stieß mit seinem rechten, scharf eingeschlagenen Vorderrad
gegen meinen Unterschenkel. Das war überraschend und ein wenig schmerzhaft aber ansonsten
ungefährlich.
Die
Verletzung meiner körperlichen Unversehrtheit konnte ich als Sohn des
Mittelmeerraumes natürlich nicht auf mir sitzen lassen. Hart
und mit grässlich wutverzerrtem Gesicht schlug ich mit der Faust auf die Windschutzscheibe
des Mercedes. Wie ein Blitz war mir diese Aktion eingegeben worden, und meine
ganze Haltung entsprach dabei gänzlich dem, was ich mir unter einem wütenden
Türken vorstellte. Innerlich war ich dagegen vollkommen ruhig und sogar ein
wenig heiter.
Die Gebärde
gelang in vollkommener Weise. Der Mann duckte sich hinter seinem Lenkrad und
machte eine deutlich entschuldigende Bewegung. Diese übersah ich indigniert und
ging, jetzt etwas eiliger, zu meinem Freund Necattin, der sich einige Schritte
vor mir befand, und erzählte ihm voller Stolz von meiner mit mediterraner Verve vorgetragenen
Aktion. Danach schlenderte ich mit stolzer Brust weiter durch die engen Gassen
der Altstadt von Izmir. Türkischer wie ich konnte sich kein Türke benommen
haben.
Nur wenige
Minuten später merkte ich dann allerdings, dass ich die Aktion teuer bezahlt
hatte. Mein Mittelfinger schmerzte stark und lief blau an. Reue kam in mir auf.
Tief drinnen sagte mir eine Stimme, dass ich es wohl doch niemals zu einem
Menschen des Mittelmeerraums mit den starken Affekten, die zu einem solchen
Charakter gehören, bringen würde.
Robert
Gernhardt kam mir in den Sinn, der in Italien ähnliches durchlebt haben muss
und es in sein klassisches Gedicht gegossen hat, das mit den Worten beginnt
Italiener
sein, verflucht! -
Ich hab es oft und oft versucht,
es geht nicht.
Ich hab es oft und oft versucht,
es geht nicht.
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