Sonntag, 22. August 2021

Neun Könige und zehn Schlösser (VII)

Als der erste Wilhelm im Jahre 1861 den Thron bestieg, war er mit 64 Jahren fast 20 Jahre älter als der älteste unter seinen sechs Vorfahren bei der Thronfolge. Entsprechend gingen die allgemeinen  Erwartungen dahin, dass er nur ein Übergangskönig sein würde – niemand von seinen Vorfahren war älter geworden als 74, die meisten waren in ihren Fünfzigern gestorben. Das Foto zeigt ihn 1867, da war er 70.

Mit der Erwartung einer nur kurzen Regierungszeit verband sich die Hoffnung auf seinen damals 30 Jahre alten Sohn Friedrich, der durch seine Kontakte zur englischen Königsfamilie (er hatte die älteste Tochter der Königin Victoria geheiratet) ein Bild von einer parlamentarischen Monarchie hatte, das in Preußen als „liberal“ verschrien war.

Er hatte aus England auch ein Bild von einem intakten Familienleben mitgenommen, denn die Königin Victoria hatte eine Liebesheirat mit Prinz Albert geschlossen – ganz anders als die spannungsreiche arrangierte Ehe seine Eltern.

Vater Wilhelm hatte in jungen Jahren eine tiefe innige Liebe erlebt, zu der Gräfin Radziwill, die dessen Vater Friedrich Wilhelm III aber als nicht standesgemäß schlankerhand verbot. Die Vernunftehe zu der 14 Jahre jüngeren Augusta, zu der man ihn gedrängt hatte, war von Anfang an unglücklich.

Augusta war die Enkelin des Herzogs von Weimar, des Freundes von Goethe. Auf des Dichters Schoß mag sie 1820 gesessen haben, als der 71-jährige Goethe ihr, der neunjährigen Prinzessin ein Gedicht widmete, das mit den Worten begann

Alle Pappeln hoch in Lüften,
Jeder Strauch in seinen Dürften,
Alle sehn sich nach dir um.

Babelsberg, Blick aus dem Fenster
Ob die an markanter Stelle stehende hohe Pappel im Park von Wilhelms Schloss Babelsberg an dieses
Gedicht erinnern sollte, vermute ich stark, habe es aber nicht bestätigt gefunden. Dem heutigen Hausherren des Schlosses, einem Vertreter der Stiftung preußische Schlösser und Gärten, der uns vor drei Jahren durch das noch in der Renovierung steckende Schloss führte, war das Gedicht nicht bekannt.

Das Gefühl, nur für eine kurze Übergangszeit König sein zu dürfen, muss Wilhelm gequält haben. Schon bei dem ersten größeren Konflikt mit dem langsam mächtiger werdenden Parlament, wäre er am liebsten eingeknickt und zurückgetreten. Hier im Schlosspark von Babelsberg hat er in langen Spaziergängen von diesem Gedanken Abstand genommen, Spaziergängen mit einem Berater, der in seinem Leben und dem Leben des deutschen Volkes später eine entscheidende Rolle spielen sollte – Bismarck.

Zusammen mit ihm hat er die innenpolitische Lage unter Kontrolle gebracht und mit den dänischen, österreichischen und französischen Nachbarn Kriege geführt und gewonnen. Nach dem letzten Krieg war seine Macht so groß, dass er – von Bismarck ein wenig manipuliert und gedrängt – die deutschen Fürsten zu einem neuen Deutschen Reich vereinen konnte und sich die Krone als deutscher Kaiser aufsetzen ließ.

Gerne soll er das nicht gemacht haben, er war offenbar lieber preußischer König als deutscher Kaiser.

1888 ist er gestorben, kurz vor seinem 91. Geburtstag und hat seinem Sohn Friedrich die Königskrone (und die Kaiserkrone) für eine kurze Zeit von nur 99 Tagen weitergegeben, danach starb Friedrich an Kehlkopfkrebs und sein Sohn der zweite und letzte Wilhelm kam auf den Thron.


Wilhelm I. wurde 1797 geboren. Er war König von 1861 bis 1888 (und Kaiser ab 1871).

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