Dienstag, 24. August 2021

Neun Könige und zehn Schlösser (IX)

Was kann man über den letzten preußischen König Gutes sagen? Die meisten werden sagen: nichts – und dem möchte ich nicht widersprechen.

Wilhelm hat mit seiner großspurigen Art fast wie eine Karikatur alles das auf den Punkt gebracht, was wir moderne Menschen an Königen verachten. Er hat es uns leicht gemacht, auf die Monarchie zu verzichten.

Und doch – er hat irgendwie eine Lücke hinterlassen. Winston Churchill hat in seinem Buch über die Geschichte des Zweiten Weltkrieges es als grundsätzlichen Mangel der Weimarer Republik angesehen, dass ihr mit dem König und Kaiser eine gesellschaftliche Mitte fehlte. Dies ließ ein Vakuum entstehen, in dem sich recht bald allerhand radikale Kräfte ansammelten.

Was konnte ein König bewirken, das nach seiner Abdankung niemand anders übernehmen konnte? Ich denke hier vielleicht etwas schlicht an die Besuche des Königs, vor denen traditionell ganze Ortschaften in ihrem Erscheinungsbild grundlegend verändert wurden. Manches Dorf mag durch solche Besuche dauerhaft verschönert worden sein. Für den König putzt man auch die hintersten Ecken.

Ich habe im Internet nach Besuchen der preußischen Herrscher in meinem heimatlichen Remscheid gesucht und musste zu meiner Enttäuschung die falsche Vorstellung korrigieren, Wilhelm II. wäre zur Einweihung der Müngstener Brücke zwischen Remscheid und Solingen 1897 persönlich gekommen. Er schickte aber nur einen Verwandten, den Prinzen Friedrich Leopold, einen in Berlin äußerst umstrittenen Mann, den man später versucht hat zu entmündigen.

Zwei Jahre später ist er dann doch noch selbst gekommen und hat die Wiederherstellung von Schloss Burg besichtigt. Er ist der einzige von den Preußen, der in die Nähe meiner persönlichen Geschichte kommt. Wilhelms Lebensspanne entsprach bis auf wenige Monate der meines Urgroßvaters Christian Runkel, und so wie mein Vater, der 1920, kurz nach dem Ende von Wilhelms Herrschaft geboren wurde, den herausfordernden Blick Friedrichs des Großen nachmachen konnte, so imitierte er die verschiedenen Posen, mit denen Wilhelm die Kürze seines missgebildeten linken Arms versteckt hielt.

Große Menschen - oder besser: Menschen die in einem großen Rampenlicht stehen, laden die Umstehenden dazu ein, ihr kleines Leben an dem großen auszurichten. “Wie er sich räuspert und wie er spuckt, das habt ihr ihm glücklich abgeguckt“ lautet ein berühmtes Wort aus Schillers „Wallensteins Lager“.

Frühstückstisch im Neuen Palais
Und so habe ich im Neuen Palais in Potsdam vor dem gedeckten Frühstückstisch Wilhelms gestanden und - ich gestehe es - nach Anregungen gesucht, wie ich mein eigenes Frühstück organisieren könnte. Auch hier wurde ich enttäuscht – das kaiserliche Frühstück war dadurch majestätisch, dass man die Gegenstände übermäßig auseinander gezogen hatte. Das war erstens nicht schön aus und konnte zweitens nicht darüber hinweg täuschen, dass die Brötchen, die man dem Kaiser reichte, auch nicht besser ausschauten als die, die ich mir in Remscheid kaufen kann.

Im Neuen Palais haben sich die letzten bangen Stunden der Frau Wilhelms zugetragen. Wilhelm war gegen Ende des Krieges noch an der Front in Belgien und ist von dort auf kurzem Weg und ohne Berlin und Potsdam je wiederzusehen in das Exil gegangen, das ihm die holländische Königin angeboten hatte. Die bange Frage war, ob auch seine in Berlin in einer Art Hausarrest festsitzende Frau Auguste (die sieben Kinder waren damals schon zwischen 26 und 36 Jahre alt und alle verheiratet) ihm recht bald und unbehelligt folgen konnte, oder ob es in der revolutionär gestimmten Stadt eine Inhaftierung der königlichen Familie geben würde, so wie 1789 in Paris und 1918, also praktisch gleichzeitig, in Sankt Petersburg.

Nach bangen Tagen erwies sich die Palastwache als zuverlässig und Frau Auguste konnte nach Holland ausreisen und dabei auch noch eine ganze Kolonne von Lastwagen mitnehmen, auf denen das Notwendigste, was eine königliche Familie so zum Leben braucht, abtransportiert wurde.

Neues Palais in Potsdam
Mit ihr verschwanden die Preußen und auch das ungute Gefühl, das mich bei meinem ersten Besuch in diesem Schloss ergriff: hier kann nur jemand wohnen, der an einer gigantischen Selbstüberschätzung leidet.


Wilhelm II. lebte von 1859 bis 1942, er war preußischer König (und deutscher Kaiser) von 1888 bis zu seiner Abdankung 1918. Er starb im holländischen Exil.

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