Donnerstag, 24. Dezember 2020

Doppelter Trost

Das kleine Stück "Tröstliche Kindheit", das der Dichter Reinhold Schneider 1955 in seinem Sammelband "Weihnachtsgabe" aufgeschrieben hat, enthält einen zweifachen Trost.

Es verschweigt nicht das uns umgebende Dunkel. Es steigert es sogar noch, indem es uns "an den entsetzlichsten Schmerzen, den furchtbarsten Bildern vorüber" führen und uns auf einen Weg bringen will. Dieser Weg führt zum Kern der tröstlichen Rede, nämlich zur Erinnerung an unsere Kindheit, dem "Besten und Reinsten aus unserem Leben", zu dem wir zurückgehen dürfen. 

Und dann offenbart es uns als zweites eine verschlungene Wahrheit, die besagt, dass der Trost selbst dann wahr und wirksam ist, wenn der Urgrund des Trostes "in Wahrheit das nicht gewesen" ist, als was er uns heute erscheint.

Das aus der Erinnerung leuchtende Licht ist mehr als die Erinnerung selbst. Es ist "der Strahl aus einer anderen Welt". Wenn wir diesem Licht nachgehen, werden wir sehen, dass "es dieselbe Kraft hat wie einst, wenn es nur in uns zu leben beginnt".


Hier die Worte von Reinhold Schneider:

„Wunderbares Dunkel dieser Tage! Wenn der Nebel die Fenster umdüstert, die Bäume wie Schatten in ihm stehen und die Sonne unsichtbar bleibt und die Vögel draußen sich nur noch ganz leise melden wie aus einem anderen Reich, dann muß es doch gelingen, an den entsetzlichsten Schmerzen, den furchtbarsten Bildern vorüber einen Weg in die Kindheit zu finden. Die Erinnerung soll keine Flucht sein, kein Untergehen in der Trauer um Unwiederbringliches; aber wir bedürfen des Besten und Reinsten aus unserem Leben, wenn wir der Zeit nicht erliegen sollen. Wir müssen in die Tiefe der Vergangenheit hinab, wo wir einmal reines Wasser schöpfen durften; es wird uns wieder erquicken. Wahrscheinlich ist die Zeit der Kindheit in Wahrheit das nicht gewesen, als was sie uns heute erscheint; aber etwas ist unbezweifelbar geblieben als das Licht vom Lichte, der Strahl aus einer anderen Welt: es ist das Licht des Weihnachtstages; könnten wir es wieder empfangen, so würden wir auch erfahren, daß es dieselbe Kraft hat wie einst, wenn es nur in uns zu leben beginnt. Vielleicht ist es das Beste, was uns in Menschen begegnet ist.“

(Reinhold Schneider, 1903 - 1958)

Sonntag, 27. September 2020

Zwölf Regeln

Das Buch des Kanadischen Psychologen Jordan Peterson ist lang, zu lang, 448 Seiten in der gebundenen Ausgabe – genauso lang wie Petersons endlos scheinende Vorträge im Internet. 

Ich bin aber neugierig geworden, nachdem mir mein Freund Jochen Wriske den Artikel einer frommen Zeitung schickte, die begründete, warum Peterson auch für Christen wichtig ist.

Ich habe mir das Buch besorgt, habe es diagonal gelesen und dann die zwölf Regeln ins Deutsche übersetzt. Ich habe außerdem ein paar Sätze aus Petersons langen Erläuterungen hinzugefügt.



Hier also die Kurzform der zwölf Regeln.

1) Stelle dich gerade hin.

Strahle Kompetenz und Sicherheit aus. Du wirst dadurch stärker werden und deine Umwelt wird positiv reagieren.

 2) Behandle dich selbst wie jemand, der deine Hilfe braucht.

Stärke das Individuelle. Passe gut auf dich auf. Verbessere deine Persönlichkeit.

 3) Befreunde dich mit solchen Leuten die das Beste von dir wollen.

Finde Leute, die nach oben zielen – in Bezug auf sich selbst und in Bezug auf dich.

 4) Vergleiche dich nicht mit jemand anderem, sondern vergleiche dich mit dem, der du gestern warst.

Richte deinen Blick auf höhere Ziele. Beobachte Stück für Stück deinen Erfolg.

 5) Lass deine Kinder nichts tun, was sie dir unsympathisch machen könnten.

Erziehe deine Kinder so, dass sie angenehm in deinen Augen sind – und in den Augen anderer Menschen.

 6) Räume dein Zimmer auf.

Bring dein Haus in eine gute Ordnung, bevor du die Welt neu zu ordnen versuchst.

 7) Tue, was sinnvoll ist.

Tue nicht, was nur zweckmäßig ist, arbeite statt dessen für den größeren Zusammenhang. Finde Sinn.

 8) Lüge nicht.

Die Wahrheit verwandelt Chaos in Ordnung. Finde deine eigene Wahrheit und spreche sie aus. „Im Paradies wird die Wahrheit gesprochen, deshalb ist es das Paradies.“

 9) Erwarte, dass andere mehr wissen als du.

Suche nach der Wahrheit wie einer, der mit einem Fuß in einer gesicherten Ordnung steht und mit dem anderen Fuß das Chaos erkundet. Andere Menschen werden dir dabei helfen, wenn du ihnen zuhörst.

 10) Drücke dich präzise aus.

Sage, was du meinst, damit du herausfindest, was du meinst. Tue das, was du sagst und finde heraus, was dann passiert. Achte auf deine Fehler. Sprich sie aus. Finde den Sinn deines Lebens.

 11) Störe Kinder nicht beim Spielen.

Lass besonders die Männer ihre Grenzen testen. Wenn du denkst, harte Männer seien gefährlich, dann warte ab, bis du erlebst, wozu schwache Männer in der Lage sind.

 12) Streichle eine Katze, wenn sich dazu eine Gelegenheit ergibt.

Suche nach kleinen Momenten, in denen sich das Wunder des Lebens zeigt und alles das ausgleicht, was das Leiden, das unvermeidlich ist, mit sich bringt.

Montag, 14. September 2020

Mein Vater

Heute vor 100 Jahren wurde mein Vater Adolf Runkel geboren, am 14. September 1920 in Remscheid.

Er kam zusammen mit einem Zwillingsbruder zur Welt, zwei Monate zu früh. Die beiden winzigen Jungen mussten viele Wochen um ihr Überleben kämpfen, auf die Sitzfläche eines Sessels gebettet, je eine wärmende Weinflasche mit heißem Wasser gefüllt links und rechts, und eine in der Mitte. Die Kinder seien gerade einmal so groß gewesen wie die Flaschen erzählte uns später unsere Großmutter. Am Ende schaffte es nur der Vater, der kleine Bruder starb nach drei Monaten.

Einige
 Eigenarten meines Vaters habe ich auf seine verzärtelte Kindheit zurückgeführt, in welcher ihn seine Mutter sehr verwöhnt hat. Er blieb eher klein und schwach, war schnell satt (was er bis ins Alter beibehielt)  und mochte viele Dinge nicht essen. Für die Schule wurden ihm deshalb vorsorglich Schulbrote mitgegeben, die mit feinsten Tafeln von Eszet-Schokolade belegt waren. Was die Mutter nicht wusste: er mochte sie gar nicht und tauschte sie gegen die einfachen Leberwurstbrote seiner Klassenkameraden ein.

Er wurde nach seinem 1889 geborenen Vater Adolf genannt. Sein Zwillingsbruder hieß Hermann, so wie der mütterliche Großvater. Dass es in Österreich einen weiteren Adolf gab - bis auf wenige Tage gleich alt wie Adolf senior - war 1920 in Remscheid noch nicht bekannt.

Nach Hermanns Tod wurde zwei Jahre später ein weiterer Sohn geboren, der dann nochmals Hermann genannt wurde. Er wurde der stärkste und sportlichste der Familie und überlebte nach dem zweiten Weltkrieg vier Jahre harte russische Kriegsgefangenschaft.

Meine Großeltern mit ihren Söhnen
(von links) Adolf, Hermann und Johannes

Zusammen mit Hermann II, der nicht nur sportlich, sondern auch ehrgeizig war und sich zum Ärger meines Vaters immer zwei Bretter auflud, wenn er nur eines tragen wollte, hat er sein gesamtes Berufsleben verbracht, später auch mit dem dritten Bruder Johannes, der 1925 zur Familie kam. Ein 1929 geborener vierter Bruder, der nach dem väterlichen Großvater Christian genannt wurde, starb früh.

Mein Vater wurde – das Schulbrote tauschen als frühes Anzeichen – ein geselliger Mensch, der mit den unterschiedlichsten Zeitgenossen problemlos Kontakt pflegen konnte. Geprägt hat ihn hier auch seine lange Militärzeit unter teils sehr groben Kameraden, die 1938 mit dem Arbeitsdienst begann und im Juni 1945 mit der erfolgreichen Flucht aus russischer Kriegsgefangenschaft endete. Die Flucht, schwimmend über die Elbe und dann auf Irrwegen durch verbranntes Land nach Remscheid zurück, trat er zusammen mit einem Kölner Soldaten an, der sich als geschickter Kleinkrimineller herausstellte, was sich in einer Reihe von Situationen als fast lebensrettend erwies.

Mein Vater hat die Menschen Zeit seines Lebens danach beurteilt, wie sie sich wohl verhalten würden, wenn man einen Schützengraben mit ihnen teilen müsste.

Meiner Mutter hatte er 1943 einen Heiratsantrag gemacht, den sie aber ablehnte. Erst als am Ende des Krieges ein weiterer Heiratskandidat an der Front fiel, konnte mein Vater einen zweiten Antrag machen, der 1947 erhört wurde.

Mit der Heirat in die Familie meiner Mutter wurde er, der aus einer recht wohlhabenden Familie, aus dem "Besitzbürgertum", stammte,  nun mit einer Familie aus dem Bildungsbürgertum konfrontiert, an der er sich Zeit seines Lebens gerieben hat. Dort sei den ganzen Tag lang nur Bach gespielt worden, hat er sich später beklagt. Seine Lieblingsmusik war der Hohenfriedberger Marsch und, als er später ein wenig Trompete spielen lernte, Louis Armstrong.


Seine fünf Kinder, von denen ich das älteste war, haben seine Art, sich gerne in den Vordergrund zu spielen, oft nur schwer ertragen. Aber im Nachhinein freuten wir uns über die große Welt der Kontakte die er – sozusagen immer noch Schulbrote tauschend – für uns erschloss. Es gab keinen ausländischen Kellner, den er nicht gefragt hätte, was "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen" in dessen Landessprache hieß. Die Inhaber des ältesten chinesischen Restaurants in Remscheid haben mir noch Jahre nach seinem Tod von ihm erzählt.

Überhaupt – die Geschichten der anderen Leute, die uns zum Teil mit großer Dankbarkeit Begebenheiten aus dem Leben unseres Vaters erzählten, haben uns nachträglich mit seinem oft belehrenden und auftrumpfenden Auftreten versöhnt.

Wenige Stunden nach seinem Tod am 21. September 1996 haben die versammelten Geschwister beim Kaffee gesessen und sich vorgestellt, wie er jetzt im Himmel sitzen und mit den Engeln Hebräisch reden wird.

"Reden?" sagte Schwester Traudi, "Er bringt es ihnen bei!"

Sonntag, 12. Juli 2020

Hagia Sophia und Jerusalem

Als der römische Kaiser Justinian am 27. Dezember 537 die Hagia Sophia im damaligen Konstantinopel feierlich eröffnete, soll er über das Meer geblickt und in Richtung Jerusalem gesagt haben – „Salomon, ich habe dich übertroffen!“

Eigenartigerweise hat auch Erdoğan am Tag der erneuten Umwandlung in eine Moschee den Gedanken an Jerusalem ausgesprochen. Er sagte, dass die Auferstehung der Hagia Sophia ein Vorzeichen für die Befreiung der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem sei. Er verband also ebenso wie der Kaiser Justinian die Hagia Sophia mit dem Tempelbau in Jerusalem.

Sonntag, 26. April 2020

Gebet eines Kardinals


Liebe Schwestern, liebe Brüder, es ist der Augenblick der heiligen Kommunion gekommen.

Und sie alle, die sie jetzt in dieser Stunde nicht hier bei uns im Kölner Dom sein können, sind eingeladen, erneut eingeladen, sich in geistlicher Weise mit dem auferstandenen Herrn zu verbinden.

Wir dürfen ihm unsere ganze Sehnsucht nach ihm sagen und zeigen. Wir dürfen auf ihn schauen, der uns auch das Brot brechen möchte, um sich selbst, seinen heiligen Leib, an uns zu verschenken.

Freitag, 24. April 2020

Erinnerungen in den Zeiten von Corona (X): Where the buffalo roam


Der Eifgenbach fließt von seinen Quellen aus zunächst gerade nach Süden, an den Dörfern Buchholzen und Well vorbei, um dann in einer schönen regelmäßigen Kurve seine Orientierung so zu ändern, dass er bei Süppelbach in umgekehrter Himmelsrichtung, also nach Norden fließt. Er nimmt aber sogleich einen weiteren schönen Bogen, der unterhalb von Wermelskirchen verläuft und den Bach dann am Ende in seine überwiegend südwestliche Linie bringt. 

Dienstag, 21. April 2020

Erinnerungen in den Zeiten von Corona (IX): Tante Toni

Bei unseren Wanderungen im Quellgebiet des Eifgenbachs haben wir unser Auto häufig im Dorfkern von Buchholzen abgestellt und sind von dort in verschiedene Richtungen losgegangen. Hier im Dorf steht an einer Straßenkreuzung gegenüber der Gaststätte "Zur Buche" ein Schieferhaus, das früher einmal zu einer Schreinerei gehörte. Rechts an das Haus angebaut ist ein großer Balkon, der von einem Unterbau getragen wird, welcher aus einem einzigen Raum besteht, der zur Straße hin mit einer großen Fensterscheibe versehen ist.

Dieser Raum, kaum größer als ein mittleres Wohnzimmer, war früher das Ladengeschäft von "Tante Toni", der Schwester* des Schreiners. Zu ihr gingen wir als Kinder mit der Großmutter den halben Kilometer von ihrem Haus hinunter ins Dorf, um uns mit Lebensmitteln für den täglichen Bedarf einzudecken. 

Dienstag, 14. April 2020

Erinnerungen in den Zeiten von Corona (VIII): Die Bibel lesen


Es ist ein kleiner dunkler Fleck in meinem Lebenslauf, dass ich noch niemals in all den Jahren die Bibel ganz von vorne bis hinten gelesen habe.

Zwar ist mir die Bibel das vertrauteste Buch von allen. Manche Passagen kann ich auswendig hersagen. Ich habe die Bibel mehrfach nach bestimmten Leseplänen über Wochen und Monate kreuz und quer gelesen. Aber sie vorne aufzuschlagen und Seite für Seite zu lesen, bis ich am Ende bei der Offenbarung angekommen bin, das habe bisher noch nie in meinem Leben getan.

Freitag, 10. April 2020

Erinnerungen in den Zeiten von Corona (VII): Lean On Me


Schon seit einiger Zeit habe ich immer wieder einmal die Gottesdienste aus der schwarzen Harlemer Kirche des Pastors Michael Walrond über das Internet gehört. Seit dem 15. März predigt Pastor Michael vor einer leeren Kirche. Spätestens Anfang April, in der dritten Woche danach, ist es klar, dass sich diese Kirche in New York im Zentrum einer Katastrophe befindet. Wie reagiert sie darauf?

Pastor Walrond von der First Corinthians Baptist Church (FCBC), der selbst aufgrund einer Vorerkrankung zu einer Risikogruppe gehört, lässt an diesem Sonntag seine Vertreterin Heaven Berhane sprechen. Sie hat den bekannten Text über die Gemeinde als Leib aus 1. Korinther 12 gewählt, in der modernen Übersetzung von The Message*. Das ist eine Predigt, die man oft gehört hat, die aber jetzt, wo der Leib des Volkes alle Aufmerksamkeit auf sich zieht, plötzlich neue Gedanken eröffnet.

Dienstag, 7. April 2020

Erinnerungen in den Zeiten von Corona (VI): Die schöne Melusine


In einem alten Buch mit Volkssagen habe ich als Kind wie benommen die Geschichte von der schönen Melusine gelesen. Die Geschichte war ergreifend, aber mehr noch war es das Bild der Melusine im Bad!

In der damaligen Zeit, in der am Zeitungskiosk noch nicht serienweise die Anatomie spärlich bekleideter Frauenkörper zu bestaunen war, erschien mir das Bild dieser rätselhaften Frau mit ihren festen Brüsten wie ein Schlüssel zur geheimnisvollen Welt des Weiblichen.

Ich rekonstruiere im Kopf mein Alter bei der ersten Begegnung mit Melusine, indem ich mir in Erinnerung rufe, dass ich ihren Namen früher als das Wort "Limousine" kennenlernte, und dass ich mich sogar gefragt habe, warum die beiden Worte so ähnlich klangen. Ich schließe aus allem, dass ich noch recht jung war und erinnere mich auch dunkel, dass ich noch nicht vollkommen über die Sexualität aufgeklärt war, die mich in dieser Phase meines Lebens langsam nach und nach in Beschlag nehmen sollte.

Sonntag, 5. April 2020

Erinnerungen in den Zeiten von Corona (V): Der Telegraf


Für meinen Blog-Eintrag über die Rattenburg habe ich das Internet durchforstet und habe an einer Stelle auch einen guten Nachweis für die alte Sage von der versunkenen Burg bekommen.

Zu meiner Überraschung stieß ich aber außerdem auch auf einen Hinweis aus vergangenen aber gut beurkundeten Zeiten, dass nämlich einstmals auf dem Rattenberg ein Telegrafenhaus stand, das zwischen 1833 und 1849 optische Signale auf der Linie Berlin - Koblenz übermittelt hat.

Es übernahm die Signale von einem ähnlichen, 11 km Luftlinie entfernten Haus in Radevormwald und gab sie an die nächste Station in Blecher oberhalb des Altenberger Doms weiter (13 km entfernt).

Donnerstag, 2. April 2020

Erinnerungen in den Zeiten von Corona (IV): Langeweile, Einsamkeit, Angst


Felder und Wälder bei Buchholzen
Im Haus meiner Großeltern in Buchholzen verging uns Kindern die Zeit oft nur sehr langsam. Das war uns meistens recht, weil wir gerne lange Schulferien in diesem Haus unter den hohen Bäumen machten.

Manchmal wurde uns die Zeit aber auch zu lang – etwa im Sommer des Jahres 1956, als meine Eltern zum ersten Mal zu einem längeren Campingurlaub nach Südfrankreich abgereist waren.

Ihre Rückkehr war für einen bestimmten Tag angekündigt, ohne dass allerdings die Uhrzeit bekannt war. Meine Schwester und ich lagen schon seit dem Vormittag gespannt wartend auf einer Wiese im Garten und hörten zu, wie die (in dieser Zeit recht wenigen) Autos die Dorfstraße herunter oder herauf fuhren.

Sonntag, 29. März 2020

Erinnerungen in den Zeiten von Corona (III): Die Rattenburg


Oberhalb des Hauses meiner Großeltern lag das Ausflugsrestaurant „Rattenburg“. Es hatte den etwas unheimlich klingende Namen von einem in der Nähe gelegenen sumpfigen Wald, um den eine Volkssage kreiste.

An dieser Stelle habe, erzählt die Sage, vor Urzeiten eine stolze Burg gestanden, die aufgrund irgendwelcher Verfehlungen ihrer Bewohner mit einem Fluch belegt worden war. In dessen Folge versank sie mehr und mehr im Boden und war am Ende nicht mehr zu sehen. Tief unten lebten aber die Bewohner weiter – wenn ich es richtig in Erinnerung habe in der Form von Ratten. Daher der Name Rattenburg.

Samstag, 28. März 2020

Erinnerungen in den Zeiten von Corona (II): Der Affensturz


Im Dreieck zwischen den Dörfern Dreibäumen, Bergisch Born und dem Buchholzen meiner Großeltern entspringt der Eifgenbach. Er fließt von hier aus zunächst südlich um Wermelskirchen herum, dann an Dabringhausen vorbei und mündet in der Nähe des Altenberger Doms in die Dhünn.

Es gibt insgesamt vier Quellen des Eifgen, die jeweils in einem kleinen Taleinschnitt liegen. Dieser beginnt bei den oberen beiden Quellen in einem schönen, regelmäßig geformten Randterrain, das ein wenig wie die Zuschauertribüne eines großen natürlichen Theaters aussieht. Im Zentrum dieser Arena liegt die Quelle.

Die dritte Quelle liegt etwas versteckter. Sie war in den fünfziger Jahren, als meine Schwester Sigrid und ich bei den Großeltern Ferien machen durften, verbreitert worden und bildete damals einen kleinen Tümpel. An der Stelle, wo er aufgestaut war, hatte man ein Brett über den Bach gelegt (etwa da, wo im Foto der umgestürzte Baum liegt), so dass man den Bach hier bequem überschreiten konnte.

Sonntag, 22. März 2020

Erinnerungen in den Zeiten von Corona (I): Otto, Nove, Dieci


Bei km 1,0
Vom  Zentrum des Dorfes Buchholzen, in dem meine Großmutter wohnte, gab es entlang der Straße nach Bergisch Born alle hundert Meter einen Kilometerstein. Meine Oma wohnte bei Stein Nummer 7, und wenn sie mit uns in Richtung Bergisch Born ging, mussten wir die weiteren Steine auf Italienisch aufsagen.

Der erste Stein hieß Otto, also auf Italienisch acht, was wir als kleine Kinder lustig fanden, aber auch ein wenig irritierend. Uns dämmerte, dass zwischen Wort und Bedeutung etwas Drittes lag, Sprache, und die konnte also verschieden sein. Bis zum Stein "Nove" gingen wir noch gerne mit, aber bei "Dieci", am Straßenrand vor der Gaststätte, die nach einer alten Ortssage "Rattenburg" hieß, wollten wir meist umkehren. Die Oma konnte uns mit der Aussicht weiter locken, bei "Dodici" über die Eisenbahnbrücke gehen zu dürfen und uns in den Dampf einer unter uns her rauschenden Lokomotive einzuhüllen.

Sonntag, 15. März 2020

Kundig, weise, fähig zu unterscheiden



Gott sprach zu Salomo: Weil du weder um langes Leben bittest noch um Reichtum noch um deiner Feinde Tod, sondern um Verstand, auf das Recht zu hören, siehe, so tue ich nach deinen Worten.
( Losung vom heutigen 15. März, aus 1. Könige 3,11-12)

Heute beginnt die Woche, die für viele von uns die vielleicht größten Veränderungen mit sich bringt, die wir in unserem bisherigen Leben mitmachen mussten. Es drohen die größten Gefahren, die unser Volk seit dem überstandenen Weltkrieg durchlebt hat.

Da ist es gut, ein Wort in der Bibel zu finden, das uns das noch einmal vor Augen führt, was in schwierigen Situationen eine der wichtigsten Tugenden ist: Unterscheidungs-vermögen und Weisheit.

Freitag, 7. Februar 2020

Amen

Kirche in Pfrondorf
In der Dorfkirche von Pfrondorf bei Tübingen habe ich Ende der sechziger Jahre häufiger die Predigten des Pfarrers Heinrich Buhr (1912-2001) gehört, der ein Freund meines Tübinger Onkels war. Mein Onkel, obzwar Baptist, nahm mich zu den Pfrondorfer Gottesdiensten öfters einmal mit. Pfarrer Buhr hatte in Freiburg Philosophie studiert und dort bei Heidegger promoviert. Danach war er jedoch zur Theologie gewechselt und war ein Zeit seines Lebens umstrittener.Pfarrer geworden. 

Samstag, 18. Januar 2020

Hölderlin

Franz Karl Hiemer 1792:
Hölderlin
Vielleicht stellt man sich Friedrich Hölderlin am besten als den schönen 22 jährigen Jüngling vor, den das Pastellbild des Malers Hiemer zeigt, und nicht als den geistig verwirrten älteren Menschen, der in der zweiten Hälfte seines Lebens 36 Jahre auf die Betreuung des Schreinermeisters Zimmer im Tübinger Turm angewiesen war.

Schon seine Mutter muss eine sehr schöne Frau gewesen sein, die nach dem frühen Tod von Hölderlins Vater als "die schöne Witwe" bezeichnet wurde. Auch ihr zweiter Mann verstarb nach wenigen Ehejahren. Sie war durch die wirtschaftlichen Erfolge ihrer Ehemänner und durch eigene Erbschaft eine vermögende Frau und konnte über ihr ganzes Leben ihren Sohn finanziell unterstützen. Das war immer dann notwendig, wenn er wieder eine der nur schmal besoldeten Stellen als Hauslehrer oder Bibliothekar verloren hatte, und natürlich besonders, wenn der Ertrag aus seinen Schriften ausblieb - was häufig der Fall war.

Donnerstag, 9. Januar 2020

Hilf meinem Unglauben



Dieses Wort, welches für das Jahr 2020 als biblisches Losungswort der Kirchen* ausgesucht wurde, hat mich angenehm berührt, als ich es vor vielen Jahren zum ersten Mal gehört habe. Ich muss damals schon halbwegs erwachsen gewesen sein, denn solche Worte wurden nach meiner Erinnerung den Kindern in unserer Kirche nicht vorgelesen.

Vermutlich hat man sie ihnen vorenthalten, weil diese Worte viel zu offen über den Unglauben sprechen. Aber gerade das hat mir wiederum dann gefallen.

Der Unglauben wird ansonsten in der Bibel in vielfältiger Weise getadelt. Hier an dieser Stelle wird er aber als eine den Menschen gegebene Denkweise vorausgesetzt – und überwunden (nachzulesen im Markus-Evangelium im 9. Kapitel).